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Nach elf Uhr erschien der Abbé Sikard, eine große Anzahl taubstummer Kinder beiderlei Geschlechts folgte ihm; Massieu[WS 1], sein Zögling, Freund und Gehülfe, war ihm zur Seite. Das Aeußere des guten alten Abbé machte auf den ersten Anblick einen nichts weniger als angenehmen Eindruck, der nur allmälig sich verlor. Die Natur war von jeher bei der Bildung seiner Gestalt und seiner Züge etwas stiefmütterlich mit ihm verfahren, die Zeit hatte ihn nicht verschönern können, und nun hatte er noch obendrein bei den vieljährigen ununterbrochenen Umgang mit seinen Taubstummen sich gewöhnt, jedes Wort, das er sprach, mit gewissen, ausdrucksvoll sein sollenden Mienen zu begleiten, die allmälig zur Grimasse wurden, seine Züge bleibend verzerrten und ihn wirklich zur Karrikatur umbildeten.

Im auffallendsten Kontrast mit ihm stand sein schöner junger Freund Massieu neben ihm; groß und edel von Gestalt, bescheiden, doch würdevoll, gleich einer Erscheinung aus einer andern Welt. Ein beredteres Auge, ausdrucksvollere Züge, in denen der reinste Seelenadel sich ausspricht, als die dieses Taubstummen, kann es nicht geben; nie habe ich an einem lebenden Menschen ein so rein griechisches Profil gesehen, wo die hohe edle Stirn den Uebergang zu der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jean Massieu
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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. Band 2. Georg Westermann, Braunschweig 1839, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jugendleben_und_Wanderbilder_II_182.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)