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Verehrte Anwesende!

 „Er ist aufgefahren in die Höhe und hat Gaben gegeben den Menschen" sagt der Apostel Eph. 4, 8–11. Und als solche Gaben nennt er dann nicht blos Apostel und Propheten, sondern auch Evangelisten, Hirten und Lehrer. So kann man denn im Anschluß an dies Apostelwort getrost behaupten: die größte Gnade, welche Gott einer Zeit und einem Geschlecht erzeigen kann, ist die, daß er Seiner Kirche hochbegabte, mit Seinem Geist und Gaben ausgerüstete Zeugen gibt, Männer des Glaubens, von denen, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers auf ihre Umgebung fließen. Eine solche Gabe aus der Hand des Erhöhten, ein brennend und scheinend Licht unter uns, ist auch der Mann gewesen, von dessen Wirken auf dem Gebiet der inneren Mission und Diakonie ich Ihnen heute erzählen soll. Es ist mir die in dieser Fassung des Themas liegende Begrenzung meiner Aufgabe angenehm. Denn einmal wäre es nicht möglich das Bild eines so reichen Lebens in den Rahmen eines kurzen Vortrags zu spannen, und zum andern darf gerade eine Schilderung dieses Theils von Löhes Lebensarbeit auf Teilnahme und Verständnis auch solcher rechnen, denen Löhe wegen seines entschiedenen Festhaltens am lutherischen Bekenntnis namentlich zur Zeit der kirchlichen Kämpfe in Bayern ein Zeichen des Widerspruchs gewesen war. Ja gewiß, es hat in Löhes Leben an Widerspruch von Feinden und „befreundeten Gegnern“ nicht gefehlt. Aber auch das ist wahr, daß wenigstens im letzten Abschnitt seines Lebens, als er sich seiner friedlichen Thätigkeit auf dem Gebiet der Barmherzigkeit zuwandte, und Gott Segen zu seinem Thun gab und ihm verlieh „durch das Jammerthal zu gehen und daselbst Brunnen zu machen,“ die Anerkennung den Widerspruch mehr und mehr übertönte, ja mehr und mehr verstummen machte. Und gewiß war, als er am 2. Januar 1872 sein Haupt zur Ruhe legte, in der ganzen bayerischen Landeskirche, ja in der lutherischen Kirche diesseits und jenseits des Oceans das Gefühl allgemein: „Es ist ein Fürst und Großer gefallen in Israel.“