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aller Missionsarbeit. Nicht die Gewinnung einzelner Seelen, sondern die Sammlung der Gewonnenen zu der Einen Heerde: die Einheit der Gläubigen, das irdische Abbild jener unaussprechlichen Einheit, die zwischen Vater und Sohn in Ewigkeit besteht: das ist das höchste Ziel, welches das Gebet des ewigen Hohepriesters sich steckt, welches die Entwicklung der Kirche erreichen und welches auch durch ihre Missionsarbeit mit herbeigeführt werden soll. Freilich was wir in der Gegenwart sehen und erleben ist das Gegenteil der von dem Herrn geweissagten Zukunft. Die Kirche des Herrn ist gespalten und ihre Gespaltenheit und Zerklüftung spiegelt sich nur zu getreu auch in ihrer Missionsarbeit wieder. Wir haben katholische, wir haben evangelische Missionen, und unter den nahezu hundert evangelischen Missionsgesellschaften sind nicht blos die beiden protestantischen Confessionen, sondern auch fast alle Schattierungen des protestantischen Sektenwesens vertreten. Die Einheit der Gläubigen, von der nach den Worten des Textes eine Wirkung auf die Welt ausgehen sollte, die sie zur Anerkennung des göttlichen Ursprungs und Wesens des Christentums bestimmt haben würde, ist dahin; an ihre Stelle ist eine Zerspaltung getreten, die nicht blos für die Welt ein Stein des Anstoßes, sondern auch für Christen oft eine nicht geringe Glaubensprüfung, ja Anfechtung ist, die insonderheit den Neubekehrten aus dem Heidentum an aller Wahrheit irre machen könnte. Und was bedeutet diese Zersplitterung der Kirche auch für die Mission für eine Kräftezersplitterung! Anstatt in einer geschlossenen Kolonne zu kämpfen, ist das Streiterheer Jesu in der Heidenwelt verzettelt in lauter kleine Abteilungen, ohne Zusammenhalt, ja fast ohne Fühlung mit einander. Und erst noch das Betrübendste von allem: die Reibungen und gegenseitigen Befehdungen der verschiedenen Confessionen auf dem Missionsgebiet, die Eingriffe in fremde Arbeitsfelder, um zu schneiden wo man nicht gesät hat, die Seelenfängerei und Seelenkäuferei, wofür die römische Missionspraxis noch neuerdings Beispiele aufzuweisen hat. Wem blutete das Herz nicht beim Anblick solchen Jammers!

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 Aber, teure Missionsfreunde, der Glaube muß dennoch über diesen Widerspruch der Gegenwart mit der verheißenen Zukunft triumfieren. Die Gestalt des Endes wird dennoch die von dem Herrn geweissagte sein. Und, mir scheint, gerade die Mission, die draußen in der Heidenwelt den Jammer der Zerrissenheit der Kirche am schmerzlichsten zu fühlen bekommt, kann auch an ihrem Teil beitragen zur Heilung des Schadens und mitarbeiten an der Anbahnung der verheißnen Zukunft und der Erreichung des großen Ziels: „Daß sie alle Eins seien.“ Wie und wodurch fragt Ihr? Nun,

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Die Mission im Lichte des hohenpriesterlichen Gebetes Jesu. Verlag der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung, Nürnberg 1889, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Johannes_Deinzer_-_Predigt_%C3%BCber_Joh._17,_18-21.pdf/9&oldid=- (Version vom 5.7.2016)