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(etwa die 12 Erzväter des Alten Testaments und die 12 Apostel des Neuen Testaments) oder Engel zu verstehen seien. Das Erstere ist sogar das Unwahrscheinlichere, da man hiebei annehmen müßte, daß Johannes auf einem der 24 Stühle sich selbst, also seinen eigenen Doppelgänger, gesehen haben würde. Und noch unwahrscheinlicher ist es, sich denken zu sollen, daß Johannes außer seinen damals allerdings schon heimgegangenen Mitaposteln auch seine irvingianischen Collegen in spe, die erst 1800 Jahre später geboren werden sollten, auf ihren Stühlen thronend gesehen habe. Wenn er nach Offenb. c. 21, 14 seinen Namen als Siegel seiner ewigen Erwählung auf einem der 12 Grundsteine des neuen Jerusalems eingezeichnet las, so ist das etwas Anderes, denn was er dort schaut, ist ein Bild der Zukunft. Dagegen die Scene in c. 4 der Offenbarung ist ja keine Darstellung von Zukünftigem, sondern von Vergangenem oder (vom Standpunkt des Sehers aus) Gegenwärtigem. Der zeitliche Hintergrund von c. 4 der Offenbarung ist die Thatsache der Schöpfung, und was es schildert, ist: die Herrlichkeit Gottes des Schöpfers, der erhaben über die Welt und doch seiner Welt gegenwärtig im Himmel inmitten seiner heiligen Engel thront. Auf keinen Fall läßt sich für irvingianische Zwecke aus dieser Stelle etwas beweisen.

 Doch nicht blos einzelne Stellen des Neuen Testaments, sondern die ganze Anschauung der heiligen Schrift von dem apostolischen Amte, der biblische Begriff des Apostolats ist der irvingianischen Ansicht entgegen. Die wesentlichen Erfordernisse des Apostolats sind nach biblischer Anschauung: 1) die unmittelbar göttliche Berufung, 2) die Inspiration, d. h. die irrtumslose Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit durch unmittelbare Offenbarung oder Eingebung des h. Geistes, 3) die Befähigung, als Augen- und Ohrenzeugen der großen neutestamentlichen Heilsthatsachen (des Lebens, Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu) vor der Welt ein völlig glaubwürdiges Zeugnis von Christo und dem Heil in Christo ablegen zu können.

 Alle diese Stücke fehlen den irvingianischen Aposteln. Die irvingianischen Apostel können nicht wie St. Paulus (Gal. 1, 1) von sich sagen, daß sie Apostel weder von Menschen, noch durch Menschen, sondern durch Jesum Christum und Gott den Vater seien; der HErr hat sie nicht unmittelbar berufen, sondern sogenannte Propheten haben diejenigen bezeichnet, welche zu Aposteln sollten gemacht werden. Desgleichen können sich die irvingianischen Apostel keiner unmittelbaren Offenbarung der Wahrheit durch den HErrn rühmen wie St. Paulus, der z. B. Galat. 1, 12, vgl. 1 Cor. 11, 23; 1 Cor. 15, 3 von sich sagte: „er habe sein Evangelium von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ Ebenso fehlt ihrem Zeugnis das unterscheidende Merkmal des apostolischen Zeugnisses: die Augen- und Ohrenzeugschaft und die darauf beruhende unmittelbare Gewißheit dessen, wovon sie zeugen. Ein Apostel muß nach Ap.-Gesch. 1, 21 ff.; Joh. c. 15 v. 27 u. v. a. St. ein Augenzeuge des HErrn, seiner Thaten und seiner Leiden, seiner Erniedrigung und seiner Verherrlichung gewesen sein. Auch dem Apostel Paulus ist der HErr persönlich erschienen auf dem Weg nach Damaskus, Ap.-Gesch. 9 v. 3–15.