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Gnadengaben des h. Geistes (vgl. 1 Cor. c. 12 und c. 14) behaupten. Muß man auch zugeben, daß gegenüber dem Geistesreichtum der apostolischen Zeit, wie wir ihn z. B. in der corinthischen Gemeinde finden, gegenüber der hochgehenden Gnadenflut jener Tage, jetzt eine Zeit der Ebbe eingetreten sei, so ist damit doch nicht gesagt, daß jene Gnadengaben in der Kirche ganz ausgestorben und erloschen seien. Der im Jahr 254 verstorbene Kirchenlehrer Origenes berichtet, daß unter den Christen seiner Zeit noch Wunderheilungen, Teufelsaustreibungen und prophetische Gesichte vorkamen, doch nur noch Spuren davon bei Wenigen, welche ihre Seelen durch das Wort und einen dem Wort entsprechenden Wandel gereinigt haben. So wie damals ist es auch noch jetzt, es gibt noch immer einzelne charismatisch begabte Personen (Blumhardt, Löhe, die † Jungfer Trudel etc. etc.). Eine ganz andere Frage ist es, ob die wunderbaren (?) Vorkommnisse namentlich beim Beginn der irvingianischen Bewegungen wirklich, wie die Irvingianer rühmen, eine Wiedererweckung der apostolischen Gaben des Zungenredens und der Weissagung sind.

 Endlich wollen wir dem Irvingianismus das Verdienst nicht schmälern, daß er zur Anregung der Erwartung und Belebung der Hoffnung der Christenheit auf die baldige Wiederkunft des HErrn das Seinige beigetragen hat. Aber eben nur das Seinige. Denn alle die im Vorstehenden anerkannten Wahrheiten des Irvingianismus sind nicht dessen ausschließliches Eigentum, sondern auch in kleineren oder größeren christlich-gläubigen Kreisen seit Jahrzehnten herrschende Überzeugungen. Jeder, der z. B. das Eigentümliche der Löhe-Vilmar’schen Richtung kennt, wird mir darin Recht geben. Darum konnte ich bei meinem Vortrag noch Besprechung der angeführten Punkte wol die erste Hälfte meines Satzes: „Was an dem Irvingianismus wahr ist, das ist ihm nicht eigenthümlich“ für erwiesen achten.

 Was nun die Beweisführung für den zweiten wichtigeren Teil meines Satzes anlangt: „Was dem Irvingianismus eigentümlich ist, das ist nicht wahr“, so legte ich hier das Hauptgewicht auf den Nachweis der Schriftwidrigkeit der irvingianischen Behauptung von der Notwendigkeit der Fortdauer des Apostolats in der Kirche und von der thatsächlichen Wiederherstellung des Apostolats in Mitte der irvingianischen (oder wie sie sagen: der apostolischen) Gemeinden.

 Bekanntlich spricht der Irvingianismus von einem großen „Sündenfall“ der Kirche am Ende des apostolischen Zeitalters. Diese Sünde bestand darin, daß die Kirche des ersten Jahrhunderts das Apostolat hinsterben ließ. In dem im Jahre 1837 von den irvingianischen Aposteln verfaßten und an alle geistlichen und weltlichen Häupter der Christenheit gerichteten Testimonium (Zeugnis) heißt es wörtlich: „Die christliche Gemeinde ließ es gut sein, daß das Apostolat (d. h. das apostol. Amt) hinstarb, und beruhigte sich damit, daß ihre Sünde Gottes Wille sei.“ Aus diesem Aufhören des apostolischen Amtes ist nun aber der Kirche nach irvingianischer Lehre ein großer Verlust erwachsen. Der Verlust des Apostolats ist für die Kirche der „Verlust der Taufe mit dem h. Geist