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aus seinem protestantischen Bewußtsein heraus die römische Lehre vom Meßopfer, seine eigene Lehre vom eucharistischen Opfer aber schielt und schwankt selbst bedenklich nach Rom hinüber.

 Uebrigens erinnert diese irvingianische Opferlehre sehr an den Ausdruck des Calixtus, der behauptet hatte, daß das heil. Abendmahl ein sacrificium memorativum, d. h. ein Gedenkopfer sei, wobei sich ebensowenig etwas Klares denken läßt.

 Fassen wir schließlich unser Urteil zusammen, so können wir sagen:

 Der Irvingianismus hat eine Seite, die besonders friedliebende christliche Gemüter anzuziehen geeignet ist: das ist der in gutem Sinne des Wortes katholische Zug, der durch seine Anschauungen hindurchgeht. Die Kehrseite davon ist freilich ein stark unionistischer Zug, der eben so sehr hervortritt. Die Confession ist ihm von seinem Standpunkt aus etwas Misliebiges – sie ist ja die Zerreißung der Einheit der Kirche. Damit verwandt ist der ungeschichtliche Charakter des Irvingianismus. Er stellt einen Bruch mit der ganzen Vergangenheit der Kirche dar, denn er sieht in der ganzen geschichtlichen Entwicklung der Kirche seit dem apostolischen Zeitalter ja nur Fehlgang und Verfall. Damit hängt denn auch schließlich zusammen, daß er selber nicht eigentlich ein geschichtliches Gewächs nicht etwas Gewordenes, aus einem Keim Erwachsenes, sondern etwas Gemachtes und Zusammengetragenes ist. Die Geisttreiberei, das Lauschen auf Inspirationen und außerordentliche Offenbarungen erinnert an reformirte Eigentümlichkeit, die Lehre vom Wort und Sacrament ist vielfach die der lutherischen Kirche, die hierarchische Rangordnung der Geistlichen und manch Anderes ist dem Katholicismus entlehnt. Er rühmt sich selbst, gleichsam ein Schatzkästlein alles Guten zu sein, was die verschiedenen Abteilungen der christlichen Kirche vereinzelt besitzen; aber – um Vergebung – das irvingianische System kommt uns vor wie ein Christbaum, der mit allerlei Früchten behängt ist, die er doch nicht selber hervorgebracht hat, da er selber ja keine Lebens- und Triebkraft besitzt, sondern die ihm nur äußerlich angehängt sind. Dies gilt auch von der im Ganzen vortrefflichen irvingianischen Liturgie, die auch mit wenig Ausnahmen nichts Eigenartiges vom Irvingianismus selbst Hervorgebrachtes ist.

 Anzuerkennen ist, daß der Irvingianismus, nachdem er einmal seine Sonderanschauungen entwickelt und festgestellt hat, vor weitern Irrtümern bewahrt geblieben ist. Gewiß enthält er Elemente der Wahrheit, die an deren kirchlichen Gemeinschaften noch nicht in gleichem Maße zum Bewußtsein gekommen sind und die es daher wolverdienen, beherzigt und angeignet zu werden. Ein so guter Lutheraner wie der sel. Dr. Rudelbach wünschte, daß man lutherischer Seits die Irvingianer als irrende Brüder anerkennen möchte. Nun, wir wollen wenigstens der vorhandenen Verwandtschaft und des gemeinsamen Besitzes so vieler theurer Wahrheiten uns freuen und, wo wir – wie der Verfasser dieses Artikels – zum Urteilen genötigt sind, christliche Milde brauchen. Aber die von uns erkannten Irrtümer des Irvingianismus sind uns eben doch schwerwiegend genug, um seiner