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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 2te Abth. Der westliche Sprachzweig umfasst Polen, Böhmen, Mähren, Nordungarn und die beiden Lausitzen, ist aber trotz seiner verhältnissmässig geringen Ausbreitung unter 5 Staaten, Preussen, Sachsen, Oestreich, Russland und den Freistaat Krakau zertheilt. Zu dem westslawischen Zweige gehört auch der Elbdialekt, welcher einst in Norddeutschland bis an das Erzgebirge gesprochen, jetzt indess völlig ausgestorben ist. Cap. I. Der lechische Sprachzweig, herrschend in dem ehemaligen polnischen Reiche, in Ostpreussen, in Ostpommern und Oberschlesien, theilt sich in zwei Dialekte: I. Der polnische Dialekt wird gesprochen in dem Königreiche Polen, in den Westprovinzen von Russland, in Galizien, dem Freistaate Krakau, in Schlesien, dem Grossherzogthum Posen und dem ganzen südlichen Landstriche von Ost- und Westpreussen. Die Anzahl der Polen beläuft sich auf 9,365,000, wovon in Russland 4,912,000 (im Königreiche 3,728,000, in den Westgouvernements 1,184,000); in Oestreich 2,341,000 (in Galizien 2,149,000 und in östreichisch Schlesien 192,000); in Preussen 1,982,000; im Freistaat Krakau 130,000 gerechnet werden. Nach der Religion sind 8,923,000 Katholiken und 442,000 Protestanten; diese zu meist in Ost- und West-Preussen. Zum Polnischen gehört als eine Nebenmundart das Kaschubische; die Anzahl dieses Volkes gibt Schafarik nicht an. Die Literatur der Polen ist nach der russischen die reichhaltigste, doch durch das gegenwärtige Unglück des Volkes nur mit trüben Aussichten auf die Zukunft. Das Kaschubische in der Herrschaft Lauenburg und Biztom hat nur ein einziges Buch in seiner Literatur aufzuweisen; es ist der Catechismus von M. Pontan. Cap. II. Die böhmisch-czechische Sprache breitet sich vom Riesengebirge südlich nach Böhmen, Mähren und Ungarn bis an die Donau aus und wird von 7,167,000 Menschen gesprochen, wovon 44,001 zum preussischen, die übrigen zum östreichischen Staate gehören; 6,223,000 sind römisch-katholischen, 944,000 protestantischen Glaubens. Dialekte unterscheidet man zwei, das eigentlich Czechische und das Ungarisch-Slowenische. 1. Der czechische Dialekt wird in Böhmen und Mähren und dem äussersten Ende von Preussisch-Schlesien gesprochen. Unterdialekte hat derselbe eigentlich[WS 1] nicht, denn das Mährische ist eigentlich nur Mundart des Böhmischen. Im Ganzen rechnet man 4,414,000 Czechen, davon sind 3,016,000 in Böhmen (die Deutschen in Böhmen belaufen sich auf 1,145,000, die Juden auf 66,000), in Mähren 1,354,000 (Deutsche sind in Mähren 603,000, Polen 192,000, Juden 28,000); dazu wie oben 44,000 Mährer in Preussisch-Schlesien. Von diesen sind 4,270,000 katholisch und 144,000 protestantisch. Die böhmische Literatur hat zwei Perioden, das sogenannte goldene Zeitalter, das die Schlacht am weissen Berge zu Grabe trug, und die jetzige Periode der neuerwachten Nationalbestrebungen, welche in raschem Fluge das ganze Volk durchdringen. Die Literatur des böhmisch-czechischen Dialektes ist zugleich auch die des ungarisch-slowenischen, denn die Slowaken schreiben czechisch und die Schriften im Volksdialekte sind mehr als Spielerei zu betrachten. 2. Den ungarisch-slowenischen Dialekt sprechen die Slowaken im Norden von Ungarn; ihre Anzahl beträgt 2,753,000, von denen 1,953,000 Katholiken und etwa 800,000 Protestanten sind. Cap. III. Die lausitzisch-serbische Sprache, gesprochen noch in den beiden Lausitzen von etwa 142,000 Serben. Sie theilt sich in zwei Dialekte: 1. Der Oberlausitzische, als der höher gebildete und volkreichere, zählt 98,000, davon wohnen 60,000 in der sächsischen, 38,000 in der preussischen Lausitz. 88,000 sind von ihnen Protestanten, 10,000 Katholiken. Eine Literatur fängt erst seit der Reformation an und umfasst ausschliesslich religiöse Schriften; erst in der neuesten Zeit fängt man auch an, andere Gegenstände zu bearbeiten. 2. Der Niederlausitzische, nur von einigen 44,000 Menschen in der preussischen Niederlausitz gesprochen (sie sind durchaus Protestanten), und hat eine noch ärmlichere Literatur, welche auch nicht einmal in der Gegenwart zu einigem Leben sich zu erheben vermag.

 Im II. Theile seines Buches bespricht Schafarik die übrigen Sprachen, welche mit der slawischen im Verlaufe der Zeiten in grössere Berührung kamen. Sie gehören zu den Indo-Europäischen und dem nordischen Volksstamme an (nach derselben Eintheilung wie sie der Verfasser in seinen Alterthümern in Hinsicht der Bewohner unserer Erde angenommen hat). I. Zu den Indo-Europäern gehört 1. der lithauische Stamm, der sich nach seinen Dialekten in zwei Hälften theilt, den lettischen im Witebskischen, in Liefland und Curland und den eigentlich Lithauischen in den Gouvernements Wilno, Grodno, Augustowo und in Ostpreussen. Ihre Anzahl beläuft sich auf 2,380,000, und zwar eigentliche Lithauer 1,438,000 (davon 1,282,000 in Russland, 156,000 in Preussen; jene sind katholisch, diese evangelisch) und Letten 942,000 (alle in Russland, 822,000 Katholiken und 120,000 Protestanten). Ihre Literatur liegt fast gänzlich brach. — 2. Der romanische Stamm, von welchem hier zwei Zweige in Betracht kommen: a) der Urwallachische Stamm oder die Rumuni, wie es scheint, auf thrakischer Grundlage durch Beimischung von slawischen und römischen Elementen entstanden, bewohnt die nördlich von der Donau gelegenen Landstriche von Ungarn, Russland und der Türkei. Ihre Anzahl beläuft sich auf 7,806,000; davon in der Türkei, nämlich in der Wallachei, der Moldau und Serbien 4,324,000 (darunter 300,000 Macedo-Wallachen), in Oestreich 2,828,000, nämlich in Siebenbürgen und seiner Grenze 1,330,000, in Ungarn mit seiner Grenze 1,220,000, in der Bukowina 278,000, in Russland endlich 654,000, nämlich in Bessarabien 554,000 und in Cherson und Podolien 100,000. Von dieser Gesammtheit sind 6,964,000 griechischen, 842,000 unirten Glaubens.

Anmerkungen (Wikisource)

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/85&oldid=- (Version vom 26.11.2022)