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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

der Slawen in Europa in die Urzeit versetzt werden muss: so ist jene Eintheilung sehr unfruchtbar an sich; mehr noch, wenn man bedenkt, dass nun alle Nachrichten über die slawische Mythologie in den zweiten Zeitraum zusammengeworfen werden. Viel ergiebiger würde uns eine Eintheilung derselben der Art bedünken, dass man den Mythus der einzelnen Stämme, die sich vom Anfange der historischen Zeit unter den Slawen zeigen, erst in seiner Eigenthümlichkeit auffasste, und dann durch Zusammenstellung dieser einzelnen Mythologien den einen slawischen Mythus herausbilde. Dafür hat nun der geehrte Herr Verfasser in seinem Buche nichts gethan; im Gegentheil, er nimmt die Gottheiten der einzelnen Stämme, wie sie ihm passend erscheinen, und stellt sie nach Analogien in Namen und Sinnbildern zusammen, wie und wo es ihm gut dünkt. Anders hält es Kastorski, von dessen Buche wir nun auch eine Uebersicht geben wollen.

 II. Ziemlich abweichend von Hanusch behauptet Kastorski, die Slawen müssten als ein selbstständiger Volksstamm auch eine selbstständige Mythologie gehabt haben; daher sei es lächerlich, die slawischen Göttergestalten mit denen der andern Völker zu vergleichen und dann zu meinen, man habe damit ein grosses Werk gethan und die Arbeit vollendet, wie diess im vorigen Jahrhundert so oft geschehen. Zu den Urquellen selbst müsse man zurückgehen, zu den dem slaw. Heidenthume gleichzeitigen Schriftstellern und den Sagen, Sitten und Glaubensmeinungen, die sich im Volke bis auf diese Stunde erhalten haben. Und das geschieht nun im II. Cap. Mit der Verbreitung des Christenthums unter den Slawen (Cap. III.) kommt ein den Slawen feindseliger partheiischer Geist in die von Fremden verfassten Quellenschriften, die man daher nur mit der grössten Behutsamkeit, aber zu vielem Vortheil benutzen könne. — Die Slawen glaubten an einen einzigen obersten Gott (Cap. IV.); die Mehrheit der Götter entwickelte sich erst allmählig; Bjel-Bog und Czerny-Bog sind nur Bezeichnungen der günstigen oder ungünstigen (z. B. strafenden) Einwirkung der Gottheit, an einen Dualismus dürfe man bei ihnen nicht denken. Für die östlichen Slawen war Parom, Perun dieser oberste Gott (Cap. V.), der jedoch auch von den andern slawischen Stämmen verehrt wird. Sein Cultus kommt mit dem des Swjatowid ausserordentlich überein. Bei den westlichen Slawen dagegen waren Swjatowid u. Radegast die beiden obersten Gottheiten (Cap. VI.), deren Ansehn und Ruhm sich gegenseitig so ziemlich die Wage hielt und zu heftiger Eifersucht, ja zu förmlichen Blutvergiessen führte. Das Ende derselben war die Niederdrückung Retra’s, das Kruko beugte. Beide Tempel wurden genau beschrieben, jener von Dithmar, Adam von Bremen und Helmold, dieser von Saxo Grammaticus. Ihr Cultus mochte wohl ganz gleich sein, wie diese Beschreibungen zeigen. Wegen der vorherrschenden Verehrung dieser obersten, aber örtlichen Götter traten die vom ganzen Slawenstamme verehrten Gottheiten weniger in den Vordergrund, und so sind uns auch ihre Eigenschaften weniger bekannt geworden (Cap. VII.). Jedenfalls war der Glaube der Slawen Naturglaube; in dem Charakter und der Lebensweise derselben müssen also die Grundzüge ihres Cultus gesucht werden. Gastfreundschaft war die vorherrschende Tugend der Slawen (historisch erwiesen nur von den westlichen); daher Radegast auch ein allgemeiner Gott des ganzen Stammes. Die Slawen waren ausschliesslich Ackerbauer; daher von der Natur sehr abhängig, was dem Verfasser Veranlassung gibt, die Götter nach den Jahreszeiten zu besprechen, in denen sie eine besondere Verehrung erhielten. Murena, Morana, die Göttin des Winters, war zugleich die des Todes. Lada, die Göttin der Liebe und des Frühlings, stand in der höchsten Verehrung. (Cap. VIII.) Eine besondere Verehrung zollte man auch einzelnen Bäumen und Gewässern, die im Frühjahr zu frischem Leben erwachen, wegen der darin wohnenden Gottheiten; in den Bächen lebten die muntern, reizenden Rusalken, auf den Bergen die lieblichen, entzückenden Wilen. Die ganze Natur lebte voll herrlicher Götterbilder. — Der Sommer brachte eine mehr physische Liebe hervor, deren Bild Tur ist; auch Lada ist allmählig zu demselben herabgesunken. In diese Zeit fallen auch die Johannisfeuer, durch das ganze Slawenland bekannt. Swjetowit (sic!) ist der Gott des Feuers. Den Namen Swjetowit nimmt Kastorski als Adjectiv, mit der Formationssylbe wit, wity, von swjety, siaty abgeleitet: also siantowity, siatowity splendidus von siati. Ein Gleiches gilt von den Namen: Jarowit, Ruewit, Porewit. Im Herbst endet die Verehrung der Götter nicht; nun kommen Hausgötter an die Reihe; an ihrer Spitze steht der Wolos oder Weles; ihre Zahl ist endlos bei den verschiedenen Stämmen. (Cap. X.) — Auf diese Weise, schliesst der Verfasser, ist der Kreislauf des Jahres geschlossen und der Kolednik ruft uns zu: „Nun stirb!“

 Was nun zuvörderst die Art angeht, wie der Verfasser die slawischen Gottheiten einander neben und unterordnet, so ist dieselbe in Hinsicht der Götter zweiten Ranges, die er Stammgötter (plemennyje) nennt, auf jeden Fall unzweckmässig. Die drei obersten Gottheiten, Perun, Swjetowit und Radegast scheinen einander coordinirt zu sein; nur lässt sich das keineswegs genügend darthun, und wenn Jemand Perun als den obersten und einzigen Gott annehmen, die andern beiden dagegen unter ihn setzen wollte, so würde man genügende Gegengründe wohl nicht aufzufinden vermögen. (Man darf nicht vergessen, dass die beiden Hauptgötter der Elbeslawen durch den Zusammenstoss der hier angesiedelten Völkerschaften mit den Deutschen so sorgfältige und glänzende Beschreiber gefunden haben. Wie leicht konnte es im tieferen, Slawenlande noch weit glänzendere Tempel, noch höhere Gottheiten geben, die hoch über Radegast und

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/78&oldid=- (Version vom 7.10.2022)