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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

zu arbeiten, zu beten und zu sterben. Dadurch ist der polnische Bauer in jeder geistigen Entwickelung so sehr zurückgeblieben, dass er in vieler Hinsicht selbst weit hinter dem russischen steht, für dessen Erziehung bisher leider auch nur sehr wenig geschehen ist. Der neuesten Zeit war es vorbehalten, hier wie dort die ersten Schritte zu thun, um den seiner Zahl nach überwiegenden Theil der Nation der Humanität, Gesittung und Cultur zuzuführen.

 Nur mit der innigsten Freude kann der Freund der Menschheit die Bestrebungen betrachten, welche sich in neuester Zeit in dem Grossherzogthum Posen nach dieser Seite hin gezeigt haben. Drei Gesellschaften sind hier zusammengetreten in Gnjezen, Gostyn und Szamotuły (Schamotuly), welche unter dem Namen Ackerbau- und Industrie-Vereine auf die wahren Bedürfnisse des polnischen Bürgers und Bauers, höhere geistige Bildung durch Schulen, Lectüre und nationale Erziehung, genauere Kenntniss seines Zustandes und Verbesserung desselben in jeder Hinsicht, ihre volle Aufmerksamkeit richten und alle ihre Kräfte aufbieten, um den Bauer allmählig in jenen vollkommeneren Zustand zu erheben, in welchem wir ihn z. B. in Deutschland erblicken. Das Wichtigste von den Mitteln, welche ihnen zu Gebote stehen, zu diesem Ziele zu gelangen, bleibt für die Gegenwart immer noch die Einwirkung durch populäre Schriften, auf welche man daher sein besonderes Augenmerk gerichtet hat. Von vorzüglicher Wichtigkeit ist in dieser Hinsicht der literarische Ausschuss, welcher in Gostyn neben dem Gewerbe-Ausschusse besteht. Seit Kurzem erst hat sich derselbe gebildet, und dennoch hat er schon manches Gute gestiftet. So heisst es in einem Berichte des Gnjezener (Gnesener) Vereines über seine Thätigkeit im Tygodnik literacki: „Der literarische Ausschuss hat mit dem gewerblichen ein und dasselbe Ziel — das Beste der Gesammtheit, und dabei auch die Verschönerung des Landlebens für die Bewohner der Umgegend in den arbeitsfreien Augenblicken. — Derselbe wandte daher seine vorzügliche Aufmerksamkeit auf den Bedarf von Elementarschriften für unsere Dörfer und Städtchen, die im Stande wären, den wohlthätigen Einfluss der Schulen auf unser Volk so zu sagen erst vollkommen zu machen. Dieser Gegenstand wurde im Schoosse des Vereines gründlich erörtert, und dann Projekte vorgelegt, welche bisher in dieser Hinsicht wohl vor allen andern am nothwendigsten seien. Ausserordentlich angenehm war jedoch in dieser Rücksicht die Nachricht, welche Herr Günther aus Lissa mittheilte, dass er sich einem neuen Abdrucke der werthvollsten aller unserer Elementarschriften „des Pilgrim’s in Dobromil“ unterziehen wolle. Sogleich übernahm es der Ausschuss, Pränumeranten zu sammeln, und auf der einzigen Versammlung vom 2. März in Gostyn wurden 204 Exemplare gezeichnet. Auf diese Weise werden wir uns bemühen, einzig und allein nützliche Werke, als eine gesunde Nahrung, unserem Volke darzubieten. — Dabei hat sich der Ausschuss nicht einzig und allein darauf beschränkt, die Bedürfnisse unsres katholischen Landvolkes zu befriedigen; mit grösster Sorgfalt verschaffte er sich Nachrichten über die evangelischen und reformirten Gemeinden in unserem Lande, über ihre religiösen Schriften, Gesangbücher und dergleichen. Mit grossem Leidwesen hat man sich von dem vollständigen Mangel solcher Schriften in unserer Sprache überzeugt. Zum Unglück gibt es auch keine Verbindungen mit den Calvinisten in Lithauen, und obgleich der Ruhm der Gelehrsamkeit ihrer vortrefflichen Prediger bekannt, so kommen doch ihre Kirchenschriften nicht in unsere Hände. Den Bedürfnissen der polnischen Bewohner in Preussen bemüht sich zum Theil der ehrwürdige Mrongovius in Danzig abzuhelfen; aber man muss von der andern Seite wieder bekennen, dass die dortigen evangelischen Grundbesitzer ihm ganz und gar nicht zu Hülfe kommen; sie tragen ein unheilvolles Vorurtheil gegen Alles, was polnisch ist; sie lernen weder unsere Sprache, noch kümmern sie sich um die Religiosität ihrer Bauern, die doch eines Glaubens mit ihnen sind. Die evangelischen polnischen Gemeinden in Grosspolen aber sind wieder so dürftig, dass bisher für ihre religiösen Bedürfnisse nur noch wenig gethan worden ist. Ach, es gibt sogar polnische Gemeinden, in denen deutsch gepredigt wird, und die in der Kirche versammelten Bauern sind ganz und gar nicht im Stande, etwas

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/73&oldid=- (Version vom 6.10.2022)