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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

versuchen konnte, weiter zu gehen. So richtete Brambeus, selbst ein Zögling des Marlinski, die Schule desselben rettungslos zu Grunde. Durch einen besonderen Zufall befand sich der Lehrer aus Eigensinn des Schicksals im Oriente; der Schüler selbst war Orientalist und Beide liebten die Schwülstigkeit. Beide mussten also in Asien lernen, diese unglückliche Eigenschaft bis ins äusserste Extrem zu treiben. — Die russische Sprache stellte unter der Feder des Baron Brambeus die allersonderbarste, vielgestaltige Mischung verschiedener Apparate dar. Die falsche Schwülstigkeit, von Marlinski übernommen und in das Grenzenlose übertrieben, war ihr Hauptmerkmal. Da fand man Arabismen, Persismen, Turcismen, Tatarismen, Polonismen, Gallicismen, Anglicismen; alles das fortwährend ausgeschmückt mit Fehlern gegen die russische Sprache, mit unzähligen Epitheten und Einschiebswörtchen aller Art à la Jules Janin, versetzt mit etwas Salz, nur nicht mit attischem, und übergossen mit dem Essig eines giftigen Scherzes. — Diesen Mischmasch stellte man uns dar als dem Geschmacke des Landes entsprechend, tractirte damit das ganze lesende Publikum; und in dieser Sprache wiederhallte über ganz Russland hin ein Journal, auf welchem die Namen aller russischen Literaten standen. Merkwürdig bleibt die geräuschvolle Erscheinung des Baron Brambeus in unserer Literatur; man könnte ihn mit einem langgeschweiften Komet vergleichen, allein mehr dünkt er uns einem ungeheueren papiernen Drachen zu ähneln, welcher über den Strassen hinflattert und Scharen von Neugierigen und Pflastertretern herbeizieht. — Der Styl der „Lesebibliothek“ glich einer russischen Heerstrasse, wenn im Winter kein Weg gangbar ist; über eine sonderbare Mischung von russischem Schnee und westeuropäischem Kothe zogen sich lange Reihen von Verbalien, Adjectiven, Verben und anderen Wortschnörkeleien lang und breit hin und verrammelten den ganzen Weg; verschiedene Partikeln schlüpften wie leichte Schlitten ohne Ladung zwischen ihnen durch; mitten unter dieser ennuyanten und überladenen Einförmigkeit erhob sich ein abgemagertes, dürres Paar von Pronominen, „und erfreute das Volk in seiner narrenhaften Beschirrung mit seinen Klingeln und Schellen; oben darauf paradirte der Baron Brambeus selbst, theils aus eigener Freude an der Sache, theils zur Unterhaltung des Publikums.“ — Dieses Schattenbild der russischen Literatur führt der Verfasser deshalb so weitläufig aus, weil Senkowski einen grossen Einfluss auf die besten russischen Schriftsteller ausübte. So sagt er von Grecz, „dass er, hervorgegangen aus der Schule Karamzin’s und nachdem er einige Jahre auf das Studium der russischen Sprache verwendet, zuerst seine Sprache in ein grammatisches System brachte und ihr eine Correctheit gab, wie sich alle seine früheren Schriften durch dieselbe auszeichnen; dass er aber später, wie er in literarische Verbindung mit der „Bibliothek“ gekommen und sich gezwungen gesehen, die Correctur derselben zu lesen, sehr viel von seinen früheren Reizen verloren habe und einer unwillkürlichen Sprachverderbung um so mehr erlegen sei, als ihm die Grammatik, die er damals schon verlassen und vergessen hatte, nicht länger mehr zu Hilfe kam.“ Solch einen Einfluss zeigte die „Bibliothek“ auch auf andere. „Żukowski (so heisst es dann weiter), der älteste Schüler Karamzin’s, verschmolz, so zu sagen, die Sprache seiner Poesie mit der prosaischen Sprache seines Lehrers; in Żukowski, dem Prosaiker, sieht man immer und überall Żukowski, den Dichter; man sieht, dass es ihm viel Mühe gekostet, die ihm gewohnte Lyra zu verlassen und zu der gewöhnlichen Sprache überzugehen, in welche er unwillkührlich die Akkorde seiner poetischen Töne hineinklingen lässt. Żukowski ist der wahre Schöpfer der bei uns sogenannten poetischen Prosa, welche er durch sein tiefes, aus der Seele kommendes Gefühl belebte. Er ist auch in der Prosa Lyriker, seine „Madonna“ und die „Gedanken bei Gelegenheit der Enthüllung der Denksäule für Alexander den Gesegneten“ können ihrem Charakter nach unter die lyrischen Schöpfungen gerechnet werden. “ — Wie Żukowski die Sprache Karamzin’s der Darstellung des freien Ergusses seiner Gefühle zuwandte, so wendete sie der Fürst Wjazemski, der Erste unserer Schriftsteller, der Darstellung aller der delikatesten und feinsten Schattirungen des forschenden Gedankens zu. Dieser

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/67&oldid=- (Version vom 5.10.2022)