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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

alten Sprachdenkmäler. Uebrigens darf man nicht vergessen, dass gerade dieser Grundsatz in der russischen Literatur am Wenigsten durchdrang.

 Die gewöhnliche Umgangssprache, die neueuropäischen Formen der westlichen Ausdrucksweise, der Wohlklang und das Gesangartige der russischen Sprache, endlich der grosse Schatz der altrussischen Literatur: das waren die Elemente, aus denen sich die Sprache Karamzins entwickelte. In der Neuzeit ist dazu noch das Bestreben gekommen, auch die langvergessene Quelle der gesprochenen Volkssprache dem Schatze der Schriftsprache einzuverleiben. Diese Tendenz stellte sich klarer heraus seit den Zeiten Puschkins, welcher zuerst als Künstler die Aufmerksamkeit auf die russischen Lieder und Sagen wandte und die Volkssprache für eine Quelle der reinen ausgewählten Sprache erklärte. Vor Puschkin zeigte sich diese Richtung schon in den Mährchen Krylows; allein dieser blieb einseitig, weil er sich auf einen zu beengten Raum der Poesie einschränkte.

 Dieser allgemeine Anstrich der Prosa Karamzin’s erschien Anfangs als monoton, besonders als sie auf einen Haufen von Literaten überging, welche keinen bestimmten Charakterzug hatten. Sie rief unabänderlich Gegenbestrebungen hervor. Es erschien ein Schriftsteller, ausgestattet mit lebendiger Phantasie und noch mehr mit scharfem, glänzenden Witz. Er begann die einfache glatte Sprache Karamzin’s mit allerhand bunten Flecken auszustaffiren. Nach den classischen, strenggeformten, ausgeprägten und vollendeten Gestalten, wie sie durch den Charakter der Gleichmässigkeit bei Karamzin sich geltend machten, erschien eine solche buntscheckige Sprachform sehr anziehend. Den Glanz der aufgeputzten Phrasen nahm man für Feuer, für Lebendigkeit, für Kraft und die Uebertreibung für Offenbarung der Seele. Das ist der Grund der ersten und schnellen Einwirkung Marlinski’s, welcher nun der Gegner der classischen Schule Karamzins wurde. Seine Fahrt nach Rewel, seine ersten Erzählungen und der Ueberblick der Literatur, alles im Nordstern abgedruckt, nahmen die ganze Aufmerksamkeit der Lesewelt in Anspruch. Diese Kunst, Alles nicht auf gewöhnliche Weise, sondern irgend anders wie auszudrücken, fand ungewöhnlichen Beifall; seine Vergleichungen waren schlagend, aber nicht aus wahrer Nachahmung der Natur, nicht wegen ihrer Schönheit, sondern wegen ihrer Heftigkeit und Sonderbarkeit. Das Schicksal wollte, dass dieser Schriftsteller — ohnedies so geneigt zu gesuchten Redensarten — nach dem Osten geworfen wurde. Hier unter dem Einflusse des asiatischen Geschmackes, welcher alles bis ins Unendliche vergrössert und übertreibt, erlangte die Weise Marlinski’s ihren höchsten Gipfel. Aber die Mode der bunten Ausstaffirung und der Aufgeblasenheit musste vorübergehn; und so geschah es auch, besonders seit die Muse Puschkin’s sich vom Verse zur Prosa wandte und die russische Sprache zu jener reinen, durchsichtigen und wunderbaren Einfachheit erhob, welche selbst die Schlichtheit Karamzin’s übertraf. Gegenwärtig hat Marlinski allen Reiz verloren, höchstens wirkt er noch auf die unerfahrene Jugend, welche über seinen Styl bisweilen entzückt ist und dann ihre Sprache so frisirt, wie ihr Kopfhaar. — Bei allen seinen Mängeln besass Marlinski dennoch seine besonderen Schönheiten, die ihm Niemand absprechen kann, besonders wenn er sich nicht zum Witze zwang und das Extrem vermied. Seine Originalität konnte höchst erheblich wirken für seine Feder; sowie bisweilen der Schnitt eines Kleides, obgleich von sonderlicher Form, doch einem Menschen gut ansteht, während er für Niemand anderen passt. Aber solch einen Schriftsteller nachzuahmen, ist ein Unglück; da entgeht man nie der Schlinge. Und dennoch hatte auch Marlinski einen Nachahmer, welcher seinen Styl bis zu der äussersten Stufe der Karrikatur übertrieb. Das war der Baron Brambeus (Senkowski). — Wenn ein Elegant in einem sonderbaren Anzuge, welcher ihm jedoch bei seinem originellen Aeusseren gut ansteht, über den Boulevard geht, so erscheint dann leicht ein Anderer mit mancherlei Zusätzen und Anhängseln, eine ausgesuchte Copie des Ersten: und das ist die Geschichte des Baron Brambeus, welcher dem Marlinski Schritt für Schritt nachfolgte und, indem er seine Sucht nach Extremen bis zum non plus ultra übertrieb, dadurch der Literatur den Dienst erwies, dass nun niemand Anderer

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/66&oldid=- (Version vom 5.10.2022)