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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Oper; ein Ballet war gar nicht vorhanden. Der Graf Skarbek soll nun auch noch die Absicht haben, ein solches mit aller Pracht und Eleganz nach dem Muster des Warschauer einzurichten. Es wird dasselbe den übrigen Branchen wenig Abbruch thun, da das Theaterpublikum allzu gemischt und von verschiedenem Geschmack ist; vielleicht denkt er später auch daran, eine polnische Oper zu Stande zu bringen, was bisher wegen des Mangels an tüchtigen polnischen Sängern unmöglich war. Ueberhaupt hofft man noch so gar vieles von dem neuen Unternehmen, da man dem guten Geschmacke des Grafen Skarbek nur das Beste zutrauen darf und von seinem regen Eifer für die Sache, auf die er so viel Zeit und Geld verwendet, manches Tüchtige erwarten kann. Vor Allem bleibt zu wünschen, dass die Gesellschaft selbst in aller solchen Eintracht unter einander und in gleicher Achtung und Liebe bei dem Publikum, wie es sie bisher genossen, auch in dem neuen Institute erhalten werde. Unvergesslich wird in dieser Hinsicht gewiss jedem Anwesenden der Abend des 18. Febr. d. J. bleiben; es war der letzte Schauspielabend für das polnische Theater im alten Gebäude. Man gab Korzenjowski’s „fünften Akt“, dann einzelne Scenen aus dem zweiten Theile der „Krakauer und Goralen“ von Kaminski; zum Schluss ein allegorisches Tableau: die Trennung. Das Publikum und die Schauspieler nahmen von einander gegenseitig Abschied, wie alte Freunde; der im dreissigjährigen Dienste der Oeffentlichkeit ergraute Director Jan Kaminski dankte in einer rührenden Rede dem Publikum für seine Theilnahme und nahm dann öffentlich Abschied von der Schauspielergesellschaft, die er zum grossen Theil gewissermaassen selbst erzogen hatte. Nun sprach jeder von den sich entfernenden Mitgliedern einige tiefgefühlte Worte; des Rufens, Klatschens, Schreiens und Weinens war kein Ende und erst spät nach 11 Uhr verliess man in der tiefsten Rührung das Haus. Scenen so wahren Gefühls und solch aufrichtiger gegenseitiger Achtung und Anhänglichkeit finden gewiss nur seilen statt. Desto ehrenwerther aber sind sie für beide, das Publikum, wie die Schauspieler.

(Nach d. Kwẽty.)
4. Kunstnachrichten.

 Herr Prevôt, der Commissionair der Gesellschaft zur Aufmunterung der Künste, gibt eine „Sammlung von Lithographien, welche die wichtigsten Ereignisse aus der russischen Geschichte darstellen“ heraus. Das erste Heft bilden 4 Stücke, deren Sujet aus dem Leben Peter des Grossen genommen ist: 1) die Beruhigung der Altgläubigen (Raskolniki); 2) die Errichtung eines Kreuzes auf dem Grabhügel, unter welchem alle bei Poltawa gefallenen russischen Krieger ruhen; 3) das Ereigniss am Prut; 4) seine Anwesenheit in Lachta. Bekanntlich ging Peter der Grosse wenige Tage vor seinem Ende nach Zesterbek, um die dortigen Arbeiten anzusehen; als er in die Nähe des Dorfes Lachta kam, bemerkte er ein Fahrzeug, das mit Passagieren von Kronstadt kam und durch einen heftigen Sturm auf eine Sandbank geschleudert wurde. Sogleich sandte er einige seiner Leute zur Hülfe; allein bald merkte er, dass sie langsam und zögernd arbeiteten. Trotz einem Uebelbefinden, das ihn bereits ein paar Tage plagte, stürzte er sich ins Meer und rettete einen grossen Theil der Passagiere, wobei er freilich eine lange Zeit im Wasser stand. Dieser Moment nun ist auf jenem Gemälde mit dem hellsten Farben dargestellt. Die Figur Peters grossartig und herrlich, sein Gesicht ausgezeichnet, die Gruppen der Matrosen, der Passagiere und der zu ihrer Rettung Herbeigeschickten sind mannigfaltig und sehr glücklich vertheilt. Die Reinheit, Weichheit, Treue und Sicherheit des Abdrucks lässt die Lithographie auf gleiche Stufe mit den besten ausländischen stellen. Das Gemälde macht dem jungen Künstler Czorikow alle Ehre. Auf Stein gezeichnet wurde es von Razamichin, der durch seine Lithographie des letzten Tags von Pompei berühmt ist; gedruckt ist es bei Pol; die Höhe beträgt 1 Arschin, die Breite 1 Arschin 5½ Wersch.

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/48&oldid=- (Version vom 11.9.2022)