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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

(vgl. unsere Artikel: Bausteine zur slawischen Mythol.). Was war Schuld daran, dass die Elbeslawen das Christenthum nicht annahmen? Nichts Anderes als die Hab- und Herrschsucht der deutschen Fürsten, welche neben den christlichen Kirchen und Klöstern sofort ihre stolzen Zwingburgen aufbauten, um die betriebsamen und wohlhabenden Slawen zu brandschatzen und durch starke Besatzungen den Besitz der fetten Ländereien sich zu sichern. Die Deutschen waren also Schuld, dass das Christenthum nur so weit vordrang, als ihre Heere siegreich waren.

 Nach solchen Vorarbeiten lässt es sich erwarten, in welchem Geist der ganze Artikel abgefasst ist. Zwar wagt es der Verfasser im Verfolge seiner Darstellung nicht so leicht, offenbare Thatsachen zu läugnen; aber die Motive der Handlungen fallen stets zum Vortheil seiner Nation aus und das Recht vindizirt er immer nur ihr; nicht ein einziges Mal erwähnt er, die Deutschen hätten sich die oder jene Grausamkeit oder Ungerechtigkeit zu Schulden kommen lassen; solche Dinge verschweigt er lieber oder geht mit einer leichten Andeutung darüber hinweg. Ueberhaupt muss man den teutschen Historikern zugestehen, dass sie auf dem rein-historischen Gebiete in der Regel wahr und gerecht sind; sobald sie aber in das politische Gebiet hinüber treten, werden sie ausschliessend und unduldsam, besonders gegen andere Nationalitäten. Es ist dies ganz natürlich, denn die historischen Irrthümer können ihnen leicht nachgewiesen werden; das Falsche und Unhaltbare in allgemeinen Raisonnements darzustellen ist aber in der Regel schwieriger.

 Dieser Eigenthümlichkeit müssen wir es auch zuschreiben, dass der Verfasser sein eigenes Volk nur mit wenigen Zügen (in 6 Zeilen) schildert, um in diesen allen Glanz und alle Vorzüge zu vereinigen, während er den Charakter der Slawen mit ausserordentlicher Weitschweifigkeit auf 4 langen Seiten bespricht. Von den ersteren sagt er (S. 108): „noch waren die Teutschen das alte kräftige, starke, ungeschwächte, tapfere, biedere, freie, ungebeugte Volk, wie sie uns ein Tacitus im ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung geschildert, ausgezeichnet durch Muth, durch Rechtsgefühl, durch Treue, durch Liebe zum Heimischen, durch Nationalsinn, durch Ernst, durch Beharrlichkeit, durch Fleiss, durch Tugend und Redlichkeit.“ Die Slawen dagegen schildert er folgendermaassen: „Der Slawe ist im Ganzen von mittlerer, mässiger Grösse, aber gedrungenen, untersetzten Körperbaues. Seine Gliedmassen sind nämlich derb, stark, rund, kräftig und dabei gelenkig. Gegen Hitze und Kälte, gegen Durst und Hunger zeigt er sich im Verhältniss zu andern Nationen weniger empfindlich. Sehr zusammengesetzt ist sein Charakter: ein merkwürdiges Gemisch von Tugenden und Fehlern, von Vorzügen und Mängeln. Von Natur phlegmatisch, liebt er die Ruhe und den Frieden, begnügt sich mit Wenigem und thut daher auch nur meistens so viel, als er nothdürftig für sich und die Seinigen braucht, denkt nicht viel an die Zukunft, an Vorrath, an Aufspeicherung, an Ersparnisse, an Verbesserung seines Zustandes, an Verschönerung des Lebens. Er kann im Schmuze, im Elende, sich und die Seinigen ruhig verkommen sehen. Aus demselben Grunde ist er indolent, lässt Vieles über sich ergehen, was ein reges, edleres Gemüth schwerlich so duldsam hinnähme. Er ist gutmüthig, leutselig, gemüthlich, fromm, gastfrei, mitleidig, wohlthätig, züchtig, keusch, fröhlich und heiter, liebt in letzterer Beziehung ganz besonders die Musik, den Gesang, die Poesie, für welche Künste er darum auch ein vorzügliches Talent hat. Aber er ist auch wieder durch augenblickliche Eindrücke leicht erregbar und schnell zu erhitzen, ist leichtsinnig und unbesonnen, ist cholerisch, aufbrausend, stürmisch, heftig, rechthaberisch, streitsüchtig, zänkisch und kampflustig, selbst gegen seine Stammverwandten, und in solcher Aufregung jeder Anstrengung, jeder Aufopferung, jeder Rachsucht, jeder Grausamkeit, jeder Schandthat fähig. Er kann und wird sich dienstfertig und gefällig gegen Jedermann zeigen, von dem er dafür nichts zu erwarten hat, oder gegen Landsleute; aber frech und unverschämt in seinen Ansprüchen und Forderungen, wenn er

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/434&oldid=- (Version vom 14.2.2021)