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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 Der Verfasser bedauert im Anfange seines Artikels, dass es in Europa „noch immer 56 Millionen Slawen“ gebe. Die Ereignisse, welche er im Begriffe ist zu schildern, haben also noch nicht genug Slawen ihrer Nationalität beraubt, es ist noch nicht genug, dass diese „7—8000 □Meilen an die Deutschen verloren“ haben. Um nun den Leser gegen diese immer noch vorhandenen Völker gleich im Voraus einzunehmen, gebraucht der Verfasser das leider schon bis zum Ekel abgenutzte Mittel, in den ersten Zeilen sogleich auf den beliebten „nordischen Coloss“ hinzuweisen, der „gegenwärtig seine langen (!) mächtigen Arme bereits auch über einen grossen Theil Asiens bis zur westlichen Küste Amerika’s hin ausstreckt und in Europa in seinen Ostseeprovinzen wiederum viele Teutsche zu seinen Unterthanen zählt.“ Auch will er es den Deutschen recht ans Herz legen, dass die Slawen in „unserem Vaterlande“ immer noch nicht aussterben wollen, ja dass sich „innerhalb seiner Grenzen, ja zum Theil mitten in seinem Schosse sehr ansehnliche Reste“ derselben vorfinden. Wir wissen nicht, wie weit das deutsche Vaterland reicht und glauben beinahe, auch der Herr Professor Heffter wisse es nicht. Uns will bedünken, das Vaterland eines Volkes gehe so weit, als seine Sprache von dem grösseren Theile der Bevölkerung, besonders den Bewohnern des flachen Landes gesprochen werde (denn in grössern Städten spricht man gewöhnlich viele Sprachen). Nach diesem Begriffe geht das teutsche Vaterland nach den Gränzen, welche Schafarik auf seiner ethnographischen Karte (Prag 1842) und ein Jahr nach ihm Bernhardi auf der seinigen verzeichnet, und zwar in mannichfaltigen Windungen, durch Pommern, das Grossherzogthum Posen, Schlesien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Steiermark, Krain und Kärnthen bis an das adriatische Meer und hat daher innerhalb seiner Gränzen nur den Stamm der Lausitzer und der Lüneburger Slawen. Was der Verfasser dann mit dem Ausdrucke „mitten in seinem Schosse“ wolle, ist uns rein unverständlich, wenn wir nicht annehmen, entweder der Verfasser hatte Alles für „teutsches Vaterland,“ was unter preussischem und östreichischem Scepter steht, oder zum deutschen Bunde gehört, oder aber, wo irgendwie deutsch gesprochen werde. Im ersten Falle würden ihm die Posener und galizischen Polen, die Südslawen in Ungarn, Steiermark, Illyrien und dem Litorale und die Magyaren zu antworten haben, ob sie ihr Land für deutsches Vaterland halten. Im zweiten Falle würden die schlesischen Polen, die Czechen (Böhmen und Mährer), die Slowencen oder Winden, die Krainer und Kärnthner ihr Vaterland abtreten müssen. Im dritten Falle würde die Küste des schwarzen Meeres, die Halbinsel Krim, die deutschen Colonien um Saratow an der Wolga und alle die Gegenden, deren deutsche Bevölkerung uns die Augsburger Allgemeine Zeitung so rührend schildert, auch noch zum deutschen Vaterlande gehören. Welchen von diesen Begriffen der Verfasser belieben wird, wagen wir nicht im Voraus zu bestimmen, fügen aber bei dieser Gelegenheit noch die Frage bei, was er denn eigentlich unter „teutschen Slawen“ (S. 101.) verstehe. Preussische Slawen und östreichische sind uns bekannt, aber teutsche Slawen scheinen uns ein eisernes Holz. Es geht Nichts über die Genauigkeit der Begriffe.

 Die Stellung der Slawen unter den Teutschen schildert der Verfasser folgendermaassen. „Sie sind zumeist die Ueberwundenen, die ursprünglich Besiegten, welche sich als solche von jeher gedrückt, gebeugt, beschränkt und gepresst gefühlt und darum seit langen Jahren einen wahrhaft angeborenen Hass, einen fast eingefleischten Widerwillen gegen ihre — wahren oder vermeintlichen (wirklich bloss vermeintlichen?) — Dränger genährt und gehegt haben. Ihr Missgeschick zu mehren sind sie in diesem Hasse so weit gegangen, dass sie sich nach Möglichkeit isolirt, Alles Teutsche namentlich von sich fern gehalten (das war freilich ihr grösster Fehler: Wenn sie doch nur teutsch geworden wären, dann wäre die Sache eine andere!). Mit Fleiss lernten und übten sie die Sprache ihrer Herren nur in soweit, als sie solche nothwendig brauchten; sie kümmerten sich nicht um die teutsche Literatur; sie nahmen nicht Theil an den riesenhaften Fortschritten

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/431&oldid=- (Version vom 14.2.2021)