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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Wozu sich selbst und die Oeffentlichkeit und unsere Stammesbrüder narren? wozu unseren Gegnern die Augen öffnen und ihre Blicke auf das hinleiten, was weder ist noch war, was nur ein Mal wie ein Blitz durch den Kopf fuhr? — To by or not to by, sein oder nicht sein — eine andere Alternative ist uns nicht geblieben. Wollen wir unsere Nationalität aufrecht erhalten und bessere Zeiten abwarten, dann müssen wir uns gänzlich verändern, müssen eine kräftige, geistige Macht gegenüberstellen der gleichen Macht unseres Gegners, müssen arbeiten; wahre Arbeit wird uns abführen von unseren Uebertreibungen, von unseren Träumereien, von unserer Zersplitterung und Fügsamkeit in jedem Dinge, von unserer Nachäffung französischer Mängel und Unsitten (denn die Tugenden und Vorzüge dieses Volkes ahmen wir nicht nach); sie allein wird manches Dorf der Hand des Ankömmlings entwinden, sie allein durch Lesen und Abfassen von Schriften unserer vaterländischen Literatur aufhelfen und den rettenden Einfluss auf die Aufrechthaltung und Kräftigung unserer Nationalität unter den niederen Klassen ausüben. Der Edelmann bleibe auf seinem Dorfe und denke Tag und Nacht darüber nach, wie er den Boden, eine Mutter für den Fleissigen, eine Stiefmutter für den Faulen, zur Hergabe hundertfältiger Frucht zwinge, er hebe in jeder Hinsicht selbst in dem engsten Wirkungskreise die Nationalkultur empor, er ziehe Nutzen aus den Erfahrungen und Beobachtungen auswärtiger Oekonomen und theile seine eigenen Beobachtungen durch den Druck seinen Landsleuten mit, er lehre den Bauer und muntere seine Kinder zum Lernen auf. Der Geistliche liege seinem Buche ob, schaue sorgfältig in seine Dorfschule und schreibe seine Predigten sorgsam nieder. Der Lehrer zersplittere, wenn er zu irgend einem Gegenstande die Fähigkeit in sich fühlt, seine Kräfte nicht durch mannichfaltige, oft kindische Beschäftigung; denn ars longa, vita brevis. Der Jüngling auf der Universität oder in der Schule, anstatt von Reformen der menschlichen Gesellschaft, von schwärmerischen Fortschritten, vom Geiste der Zeit zu träumen, befähige sich zuvor durch fleissige Sammlung gründlicher Kenntnisse zu dem künftigen Reformator dieser Gesellschaft. Dann — wir verbürgen es — dann werden in kurzer Zeit auch bei uns Männer, wie Bloke, Thär, Chrysostomus, Bourdalau, Schiller, Tacitus, Newton u. s. w., auferstehen und unser Land und unsere Nationalität mächtig kräftigen. Denn dem Polen fehlt es nicht an Fähigkeiten. Aber was nützen sie, wenn der vernichtende Müssiggang Alles unterdrückt? Nur auf diese Weise werden wir im Stande sein, alle Stürme auszuhalten und einst, vielleicht nach Verlauf von Jahrhunderten, auferstehen von den Todten, wie die Griechen, die ihre Unterdrücker, die Macedonier und die Römer, überlebt haben.

 So handeln die Deutschen, die Franzosen und die Engländer, und aus dieser Ursache sind die Völker mächtig, reich, aufgeklärt und ihre Literatur steht auf dem höchsten Gipfel des Glanzes und der Berühmtheit. Wir sind weit entfernt, zu behaupten, der Franzose, der Deutsche oder der Engländer sei ein Engel; auch sie haben ihre Fehler und vielleicht grössere, als der Pole. Der Engländer verspielt in Karten, vertrinkt und verschmausst in einer Woche mehr, als der leichtsinnigste[WS 1] und verschwenderischste Pole in einem Jahre. Der Franzose ist sinnlicher, leichtsinniger, genusssüchtiger als der Pole, und der Deutsche .... Allein die Stellung dieser Völker ist eine ganz verschiedene: sie haben ein politisches Dasein, und was John verspielt, in Malaga und Champagner versenkt oder auf andere Weise verschwendet, das gewinnt James. Bei uns ist’s anders: Was Gaweł im Whist und Pharao verschleudert, was er an Champagner und Austern durch die Gurgel jagt, das kommt nicht in die Hände der Paweł, sondern wird eine Beute des ordnungsliebenden Gottlieb oder des durchtriebenen Moses; und heutzutage gibt es keine Starosteien, keine Voigteien, noch anderes Brod bene meritorum mehr, welches den Mangel ersetzt, ja wir haben kaum etwas mehr zu verkaufen. Ueberdies ist in dem Leben des Engländers, des

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/429&oldid=- (Version vom 14.2.2021)