Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/428

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 5) Der Volksfreund, bei demselben erscheinend, ist die älteste periodische Zeitschrift des Grossherzogthums. (Es ist eine Art von Pfennigmagazin, für einen höheren Leserkreis berechnet, aber dem altpolnischen Schlendrian noch bedeutend zugethan. Schade, dass es die Verbreitung, die es hat, nicht besser benützt).

 6) Der Industrie- und Ackerbauführer (przewodnik), erscheint in Lissa und gehört zu den besten Schriften dieser Art. Doch schleichen sich hie und da in ihm Dinge ein, die nicht das Geringste mit Industrie und Ackerbau zu thun haben, wie z. B. die viel versprechenden Berichte der wissenschaftlichen Gesellschaften über ungedruckte evangelische Gesangbücher, Volkslieder u. s. w. (?—!).

 7) Die Posener Zeitung, politischen Inhalts, mit verschiedenen wissenschaftlichen Excerpten aus den lemberger rozmaitości (Zeitschrift), und dem petersburger tygodnik, ist in Folge lokaler Verhältnisse am meisten liberal, bringt die meisten Nachrichten aus polnischen Zeitungen, steht aber hinsichtlich der Sprache am tiefsten und ist im Allgemeinen bei weitem nicht das, was sie sein könnte, ja was sie vor 1831 unter der Redaktion Raabski’s war, welcher diese Zeitschrift, die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts erscheint, in Hinsicht der Sprache und des Inhalts ausserordentlich verbesserte und sie heutzutage zweifelsohne an die Spitze aller polnischen politischen Zeitschriften gestellt hätte, hätte ihm das Jahr 1831 nicht die Feder aus der Hand gerissen. Jetzt ist sie an lokalen Nachrichten die ärmste und bringt fast gar nichts, als was ihr hie und da Jemand freiwillig Gutes oder Schlechtes einschickt; denn die Redaktion selbst schreibt keine Artikel. Die literarischen Nachrichten aus Posen z. B. druckt sie erst aus den lemberger rozmaitości ab. Doch muss man gestehen, dass sie seit einiger Zeit anfängt, sich zu bessern; der Herausgeber hatte nämlich gehört, man gehe damit um, in Posen eine andere polnische Zeitung herauszugeben, und sahe sich dadurch bewogen, an die Verbesserung seiner eigenen zu denken. (Zu diesen Zeitschriften ist noch eine zweite, unter dem Titel: Das Jahr 1843, erschienen).

 An Werkchen und dünnen Brochüren erschienen im Ganzen 37 Stück, sage: siebenunddreissig, nämlich 13 historische, 7 belletristische, 7 philosophische u. dergl. und 10 theologische. Nimmt man von dieser Anzahl das, was von auswärts zum Druck hierher geschickt wurde, wie die Schriften Goszczynski’s, Siemienski’s, Bogdan und Lenowicz Zaleski’s, die Volkslieder Lipiński’s, die Schriften Ja. Ka. Ra.’s, so wie die alten Schriftsteller, z. B. Kuczboraki, Wigand, die vom Grafen Raczyński herausgegeben wurden, und die Chowanna von Trentowski, nimmt man endlich davon weg, was Fremde, z. B. Marron, geschrieben: was bleibt dann für das Grossherzogthum Posen? — Wahrhaftig traurig ist es für den Denkenden und ein wenig tiefer in die fernere Zukunft Blickenden, von der einen Seite die vollständige wissenschaftliche und nationale Erstarrung, diese träge Nichtigkeit, von der anderen Seite wieder die Prahlerei und das Rühmen unserer Wissenschaft, unserer Aufklärung, unseres socialen Fortschrittes u. s. w. zu sehen. Ein wahrer babylonischer Thurm. Der Eine sieht unsere einzige Rettung in einem gewissen Fortschritte, der Andere in Eisenbahnen, der Dritte in wissenschaftlichen Sessionen, der Vierte in Vorlesungen, der Fünfte in Ansammlung nationaler Alterthümer u. s. w. Aber Niemand arbeitet: Alle lassen die Hände sinken und das Schiff unserer Nationalität sinkt immer tiefer und tiefer unter. Wir haben im Grossherzogthum Posen mehr als 3000 adelige Familien, einige Hunderte Geistliche, eben so viel Lehrer an höheren und niederen Schulen; aber hat wohl im Verlaufe des Jahres 1842 ein Einziger von ihnen Allen ein Werk in seinem Fach geschrieben? Wir haben gelehrte Gesellschaften, die gleich der Sorbonne gewichtvoll Berichte abstatten über die oder jene Arbeit, über das eine oder das andere wissenschaftliche Unternehmen; aber wo sind denn nur die geringsten Früchte dieser Arbeiten, dieser wissenschaftlichen Unternehmungen? Wo sind die seit mehreren Jahren schon versprochenen Swiętojanki (ist 1843 erschienen), die Volkslieder, die Gesangbücher u. s. w.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/428&oldid=- (Version vom 14.2.2021)