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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

welche ihren Pfleglingen mit besondrer Liebe zugethan waren, unterhielten dieselben, wenn sie die Aufträge der Mutter vollständig erfüllt hatten, auch noch mit allerhand Sprichwörtern, Räthseln und Wahrsagereien. Und so gab es immer Unterhaltung für die rothen Mädchen, welche desto lauter und muntrer wurden, je mehr Kindsfrauen nach und nach zusammen waren. Mitten unter diesen lustigen Gesprächen überraschte sie auf einmal die Hausfrau mit dem Frühstück; denn es lag ihr sehr daran, den Kindsfrauen zu zeigen, wie glänzend sie ihre Gäste bewirthe, damit diese es wieder zu Hause den Eltern der Mädchen berichteten. Die Speisen wurden insgesammt in zinnernen Schüsseln aufgetragen. Die Mädchen durften von ihnen nur kosten, viel mochte keines essen; denn die scharfen Augen der Kindsfrauen hätten gar üble Gerüchte darüber in der Stadt verbreitet. Bei den vollen Schüsseln schon fing man an zu berathschlagen, „was für Spiele zu spielen seien.“ Manche Mädchen waren eigensinnig und wollten in Allem ihren Willen haben, da stritten und zankten sie sich gar bald mit den Andern, und wenn ihnen diese nicht nachgaben, standen sie wohl mit Verdruss und Zorn in Kurzem vom Frühstück auf. Die Kindsfrauen hörten Alles ruhig mit an und hinterbrachten es mit mancherlei Zusätzen und Ergänzungen, mit den Aussagen der Nachbarn und mit ihren eigenen Bemerkungen ausgestattet, der Mutter zu Hause. Da geschah es dann sehr häufig, dass wenn die Kindsfrauen ihre Zusätze in's Weite trieben, die Mutter eines solchen Mädchens in ihrer blinden Zärtlichkeit und übergrossen Liebe sich selbst beleidigt fühlte durch eine solche Behandlung ihres Lieblings und nun plötzlich und ganz unerwartet in das gastliche Haus gefahren kam und ihre Tochter mit sich nach Hause nahm unter dem Vorwande, „als sei der Vater ganz ängstlich und hochbekümmert um seine Tochter und als hätte sie selbst (die Mutter) einen schrecklichen Traum gehabt, der ein nahes Unglück ihr zu bedeuten schiene und dergl. mehr.“ Verständige Leute wussten aber wohl, was sie damit wollte, und dachten sich das Ihrige im Stillen.

 Lief das Frühstück ruhig und friedlich ab, so nahmen die Kindsfrauen sogleich Abschied von ihren Mädchen. Beim Begleiten führte die Alte ihren Pflegling abseits in eine Ecke des Zimmers, um ihr die letzten Rathschläge und die Zeichen ihrer Anhänglichkeit zu geben. Die Mädchen begleiteten ihre Wärterinnen bis an den Hof hinaus und gaben ihnen den Auftrag, sich Väterchen und Mütterchen und allen Verwandten und Hausgenossen zu verbeugen.“ Und die Hausfrau setzte hinzu: „sie lasse die Eltern bitten, ihre Töchter zu besuchen und heute Abend gewiss zu kommen.“ Und nun wurden die Kindsfrauen von der ganzen Familie bis zum Thore begleitet.

 Kaum waren sie nun hinaus, so wurde das Thor mit festen Riegeln verschlossen, um jedem fremden Eindringling den Zugang zu verhindern; in diesen Augenblick liefen die Mädchen von allen Seiten herbei und fingen an einander mit Schneebällen zu werfen. Dieses Vergnügen dauerte aber niemals gar lange; die Kälte trieb die Mädchen bald wieder in die warmen Zimmer zurück.

(Der Schluss im folgenden Hefte.)



III.
Künste.
1. Russisches Theater in Petersburg.

 Bekannt ist es, welche ungeheuere Summen in Petersburg jährlich auf das Ballett verschwendet werden, während für das eigentliche Theater, das doch seinem Werthe nach weit über jenem steht, verhältnissmässig nur wenig geschieht.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/40&oldid=- (Version vom 14.9.2022)