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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

als die entschiedenste Reaktion hervorrufen müssen. Denn wir theilen keineswegs die Ansicht des Redners: es „könne nichts Gerechteres, nichts Besseres geben, als dass an die Stelle der todten lateinischen Sprache die lebende magyarische trete und dass die Administrationssprache die Sprache jenes Geschlechtes werde, welches nicht nur dem Lande die Benennung gibt (?), sondern welches auch den Stamm der konstitutionellen Existenz ausmacht.“ Uns dünkt das Gesetz, die Einführung der magyarischen Sprache an die Stelle der lateinischen betreffend, kein konstitutionelles, denn die Völkerschaften, welche dabei am meisten interessirt waren, wurden bei Entwerfung desselben zu schwach oder gar nicht vertreten (man sehe unseren Artikel über den neuen Sprachgesetzentwurf). Uebrigens ist ja die Grenze der Wirksamkeit dieses Gesetzes so wenig bestimmt, dass es ja eben durch die Ausdehnung, die man ihm gibt, eben so leicht das grösste Recht werden kann, wie das grösste Unrecht, welches es praktisch leider schon geworden ist. Ob Ungarn seinen Namen von den Magyaren bekommen, wissen wir nicht, denn es hat in verschiedenen Sprachen verschiedene Namen; dass aber durch diesen historischen Zufall die Magyaren ein Recht auf Vorrang erworben hätten, können wir nicht begreifen. Dass an den magyarischen Stamm die Konstitution geknüpft ist, dünkt uns geradezu eine Ungerechtigkeit, die weiter darzustellen wir uns in einem folgenden Artikel über den neuen Sprachgesetzentwurf vorbehalten. Unwichtiger sind andere Punkte, in welchen wir von dem Redner abweichen. Derselbe hat Recht, wenn er leugnet, dass wenn Jemand magyarisch könne und spreche, er bereits nothwendiger Weise in einen Magyaren umgewandelt sei; aber trotz dem können wir nicht übersehen, dass die glänzenden Vortheile, welche sich ihm darbieten, gewiss sehr viele der magyarischen Nation zuführen werden, wenn sie sich erst mit der Sprache vertraut gemacht. Der Redner fürchtet, die übermässigen Zwangsmassregeln der Ultramagyaren würden den „Wolkenbruch der Reaktion“ herbeiführen, welche den magyarischen Stamm sammt den Wurzeln herausreissen dürfte. Eine bezeichnende Stelle! Selbst die bestgesinnten Magyaren fürchten eine Reaktion, welche nach allen Lehren der Geschichte doch der einzig mögliche Weg zur Wahrheit ist. Der Redner gesteht auch selbst die Ungerechtigkeit des alten Sprachgesetzes ein, wenn er behauptet, es „könne nur mit der Zeit und nur durch Liebenswürdigkeit seine Herbigkeit verlieren.“ Wir glauben das nicht; sobald das Gesetz den Slawen verbietet oder unmöglich macht, ihre Sprache daheim in Kirche und Schule, so wie bei der Administration, den niederen Gerichtsstellen u. s. w. frei und ungehindert zu gebrauchen und ihrer durch Bebauung der Wissenschaften und Künste zu pflegen, werden sie nie aufhören können, ein solches Gesetz zu missbilligen und ungerecht zu finden, so lange ein einziger Slawe in Ungarn Gefühl hat für seine Nationalität. Ganz einverstanden sind wir dagegen mit folgenden Behauptungen des Redners: „In unserem heutigen hochgespannten Zustande wird auch das langsamer reifende Obst nicht sehr geliebt“ (S. 11). „Ohne Selbsttäuschung möge man es auffassen, wie sehr unser Blut sich schon zur Fäulniss hinneigt“ (S. 18). — „Auch der geistvollere Ungar (will heissen Magyar) hebt die äussere Farbe nicht selten höher als das Wesen der Dinge, wenn ihre Form nicht magyarisch ist“ (S. 21). — „Ich wenigstens kenne mit äusserst wenig Ausnahmen kaum einen wirklich eifrigen Ungar, welcher, wenn auch noch so viel graues Haar sein Haupt bedeckt, wenn übrigens auch noch so viel Erfahrung und Lebensweisheit sein Gehirn gefaltet hätte, gleich einem Geistesverwirrten, wenn eine fixe Idee angeregt wird, nicht mehr oder weniger verletzen würde die Regeln der gegenseitigen Billigkeit, ja einigermassen (?) sogar der Wahrheit, wenn die Angelegenheit unserer Sprache und Nationalität auf’s Tapet gebracht wird (ein wahrhaft trauriges Bekenntniss, das dem patriotischen Redner gewiss schwer geworden ist, zu thun). Bei solcher Gelegenheit wird der Kaltblütigste hingerissen, der Scharfsinnigste ist mit Blindheit geschlagen, und selbst

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/373&oldid=- (Version vom 14.2.2021)