Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/368

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Die Data, welche er gibt, sind höchst interessant, und die Urtheile, die er fällt, in der Regel richtig. Nur muss man sie aus der eigenthümlichen Sprachweise des Verf. herauslesen, die, weit entfernt, den jedesmaligen Gedanken mit dem einfachen und geraden Worte zu bezeichnen, ihn im Gegentheil in Bilder und Redensarten hüllt, deren Masse bisweilen so anschwillt, besonders wenn es sich um allgemeine oder streng wissenschaftliche Gegenstände handelt, dass den inliegenden Gedanken zu finden sogar schwer wird. Der Verf. gibt vorerst in der Einleitung eine kurze Schilderung der polnischen Literatur vor dem Jahre 1830, in welcher er L. Lukaszewicz’s Abriss der polnischen Literatur sehr benutzt zu haben scheint, und knüpft an dieselbe die Darstellung der „Eindrücke des Jahres 1831 und seiner Folgen.“ Unter der Ueberschrift „Literatur“ bespricht dann der Verf. die Poesie, den Roman und das Drama der Neuzeit. Abgesehen von der falschen Eintheilung, indem Drama und Roman auch Poesie sind, und nicht blos sie und die Lyrik zur Literatur gehören, da man auch die Wissenschaften in dieselbe hinein ziehen muss, scheint uns die Schilderung der lyrischen Poesie am besten gelungen. Als romantischen Dichter nennt der Verf. Mickiewicz, erwähnt auch Siemienski und Bielowski. Der Volkspoesie gibt er den gebührenden Werth; die Mythologie der Slawen aber versteht er nicht, denn er behauptet, die heidnischen Slawen hätten sie „von den Römern und Germanen, namentlich den Sachsen entlehnt.“ Die nachfolgenden mythologischen Andeutungen sind die gewöhnlichen, ohne Zusammenhang, ohne innere Wahrheit und Wahrscheinlichkeit. Unter den volksthümlichen Dichtern stellt er Brodzinski oben an; neben ihm steht Woronicz, Zaleski, Goszczynski und „die trübe Figur Malczeskis.“ Unter den Wissenschaften erhält die Geschichte als die zumeist bearbeitete den ersten Platz. „Naruszewicz’s Fragment“ hat grossen Werth sowohl wegen seiner Genauigkeit in Benutzung der Quellen (?) als der Schärfe des Urtheils (??), das die Arbeit weit (?) über den Werth einer Kompilation erhebt. Lelewel, Maciejowski, Kraschewski, Graf Ed. Raczynski, Bandtkie, Grabowski und vor Allen der wackere Moraczewski werden rühmlich erwähnt. Als Literarhistoriker erhalten Wischniewski, Poplinski, Jocher, Lukaszewicz und Grabowski Lob. In der Philosophie lehnt sich Polen an Schelling an, („denn Hegels Doktrin, welche nur eine Konsequenz des Lutheranismus ist, konnte in Polen nicht Wurzel fassen. Das Volk ist noch zu natürlich, um die Natur zu negiren, noch zu orthodox, um an einen unpersönlichen Gott zu glauben, und zu schwach an Geist, um der Lehre des Absolutismus anzuhängen“). Trentowski, Bochwic und Cieszkowski, so wie Bukaty werden weitläuftiger besprochen; Libelt’s entschiedenes Verdienst ebenfalls erwähnt. Am trübsten sieht es in der Theologie aus, in welcher der streng orthodoxe („römische“) Katholicismus herrscht und nur Towianski’s Lehre einiges Ansehen gewinnt. In der Kritik wird nur Grabowski, Kraszewski und Bejla-Rzewuski genannt. Das Theater und die Künste sind noch weit zurück; in den Zeitschriften zeigt sich ein thätiges Leben. Gesellschaften für literarische Zwecke gibt es nur noch in Frankreich und in Preussen, in Posen, in Breslau, in Samter und Goslyn; das Schulwesen hat nur im Posenschen einen Fortschritt gemacht. Ueber den Rechtszustand breitet sich der Verf. weiter aus, er gibt eine ziemlich erschöpfende Darstellung desselben von der ersten Zeit der polnischen Republik an bis auf die Gegenwart. Zum Schluss gibt der Verf. noch einen Ueberblick der geistigen Regsamkeit in den einzelnen Theilen Polens, in der Emigration, im preussischen Polen, im Königreiche, in Litthauen, Wolynien, Krakau und Gallizien, welchem letzteren er indess gewiss Unrecht anthut. Im Allgemeinen sind die Ansichten des Verf. über Polen als Theil des Slawenthums dieselben, die er früher geäussert. „Die Entwickelung des ganzen Slawenthums ist ein Reflex aller einzelnen Stämme, vorzüglich Polens. Die Hegemonie (?) in der Intelligenz der grossen Völkermasse, in ihren mannichfaltigen Verzweigungen und Nüancen bildet die ehrenvolle Stellung Polens und seine politische

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/368&oldid=- (Version vom 14.2.2021)