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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Kopf wuchs und zuletzt sich selbst rasend zerfleischte. Was aber gibt einem Lande solch einen kräftigen Bürgerstand, als Industrie, Handel und Städte? Man blicke auf Deutschland, Frankreich, Belgien und England; wie sind sie doch mit vollem Recht so stolz auf ihren Bürgerstand. Wie anders hätte sich der letztere Staat zu solcher Macht, zu solchem Ansehen emporschwingen können, wenn ihn nicht seine selbstständige, betriebsame, energische Bürgerschaft so hoch erhoben hätte? Nicht mehr als 13 Millionen Menschen zählt Altengland und doch beherrscht es mehr denn 100 Millionen Unterthanen. Aber dafür beugt sich in England der edelste Lord vor der hohen Einsicht und geistigen Macht des Sohnes eines Baumwollenfabrikanten.

 Aber unser Verfasser kam nicht nach Westeuropa, um sich nach solchen Lappereien umzusehen, er suchte schöne Thürme, verfallene Schlösser, den Kölner Dom, alte Kirchen. Wie er daher in Frankfurt a. M. das alterthümliche Rathhaus besuchen will und es ringsum von einem Gedränge betriebsamer Menschen umschwärmt, seine Vorhöfe aber mit Waarenballen vollgepfropft findet, da muss Frankfurt in einem scharfen Briefe die Sünden seiner Söhne schrecklich büssen.

 In keinem Lande ist der Gewerb- und Kaufmannsstand so wenig geachtet, als in Polen; Handwerker sein ist keine grosse Ehre, Kaufmann fast eine Schande; nur der Gutsbesitzer oder Beamte geniesst Ansehen. Ein Gutsbesitzer kann sich auch leichter für adelig ausgeben und dafür gehalten werden, als ein Kaufmann, Fabrikant oder Gelehrter, und Edelmann sein und dazu ein Gutsbesitzer — da brauchte so Mancher nichts mehr, als noch Einiges aus der guten, alten Zeit, um alle seine Wünsche hienieden befriedigt zu sehen. Solches Treiben, solche Denkungsart, die man bei einer grossen Zahl der polnischen Vornehmen zur Stunde noch vorfindet, solchen Unverstand, solche Unbildung muss jeder denkende Schriftsteller bekämpfen, das Unvernünftige darin beweisen, anstatt, wie der Verf., durch allseitige Billigung und die grösste Belobung dieselbe als Muster aufzustellen. Damit hat er seinen Landsleuten den allerschlimmsten Dienst erwiesen.

 Mit Freude erkennen wir dagegen in der schönen und poetischen Beschreibung der Rheingegend, in der Schilderung des Badelebens in Baden-Baden, des Treibens der dortigen meistentheils ganz gesunden Gäste den gewandten Verfasser des „Eduard“ wieder. Wie treffend, wie natürlich getreu ist z. B. folgender Moment an der Spielbank dargestellt: „Ungeheuer grosse Tische, bedeckt von Haufen Goldes und Silbers, von Stössen verschiedenartiger Banknoten sind von einer Menge von Männern und Frauen umgeben; Alles drängt sich heran, Jeder möchte die vordern Plätze einnehmen; aus den Taschen der Röcke und Leibröcke, aus eleganten Damenbörsen, aus den zierlichsten Brieftaschen stürzen die verschiedensten Summen auf den Tisch. Die Gesichter entflammen, die Stirnen runzeln sich; vor dem wachsenden Zorn, der zunehmenden Scham, oder dem Bedauern der Spieler erlischt immer mehr und mehr das Lächeln der Menschen von guter Gesellschaft, die hierher gekommen sind, um sich an einer sogenannten unschuldigen Unterhaltung zu ergötzen. Keiner sieht den andern an; aller Augen starren unverwandt nach der verhängnissvollen Karte oder Kugel hin. Da blitzt auf einmal eine unwillkührliche Thräne in dem schönen Auge einer sentimentalen Lady, dort erschallt unter dem Stutzbarte eines alten Kriegers, ja selbst aus dem sonst überall und immer vorsichtigen Munde eines Diplomaten ein Wort des gröbsten Fluches. Nur die Gesichter des Bankiers und seiner ehrenwerthen Beamten bleiben ruhig, immer unbeweglich, immer gleichgültig. Und geschieht es auch, dass einer von ihnen die Miene verzieht, oder gar schwer aufathmet, so ist’s um der erstickenden Hitze willen, mit welcher sie die gedrängte Schaar der Umstehenden anhaucht, oder es ist um der Müdigkeit des Auges willen, das unverwandt nach dem grünen Tische hinstiert, oder es ist wegen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/364&oldid=- (Version vom 14.2.2021)