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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

todte Volk sein geistiges Leben unverzagt fortleben; daher muss alle Hohlheit, alle Halbbildung, alles Vorurtheil, aller Jesuitismus aus derselben verbannt sein, die Literatur sei jedem guten Kinde des polnischen Vaterlandes eine liebevolle Mutter, aus deren Munde es Worte der Menschenliebe, aber nicht des Hasses, Belehrung, aber nicht Vorurtheile vernehme, an deren Busen es erstarke, um den schweren Kampf des Lebens ehrenvoll durchfechten zu können. Das sind Anforderungen, die wir an jeden der hervorragenden polnischen Schriftsteller zu machen berechtigt sind. Wir wollen daher einige Stellen aus den Briefen vorführen, in denen sich die Denkungsart des Verf. am treuesten abspiegelt, um den Leser in den Stand zu setzen, zu entscheiden, ob der Verf. seinen gerechten Anforderungen entspricht oder nicht.

 Im zweiten Briefe erzählt der Verf. von einer Reise, die er von Strassburg nach Baden-Baden mit Diligence gemacht hat. Die Reisegesellschaft bestand ausser ihm noch aus drei Personen: einem Geistlichen, einem Kaufmann und einem Apotheker[WS 1], der durch seine zu grosse Freundlichkeit und Zuvorkommenheit unserm Verf., jedenfalls unverschuldeter Weise, Veranlassung gab, eine Tirade gegen den gesammten Gewerbsstand loszulassen. Der gutherzige Apotheker wusste wahrscheinlich nicht, dass in gewissen Ländern gewisse Leute, bevor sie sich anreden oder anreden lassen, erst zu wissen verlangen, wie es sich denn eigentlich mit den Ahnen des Sprechenden verhalte; denn einer mit 5 darf einen mit 6 gewiss nicht anreden, ohne mit einem sehr verächtlichen Blicke bestraft zu werden. Der Apotheker in seiner Beschränktheit wusste dies allerdings nicht und konnte es wohl auch nicht gut wissen, da in seinem Vaterlande, in Frankreich, ein Schuhflicker eben so geachtet wird, wie der ahnenreichste Marquis, und ein Marquis oft viel weniger gilt, als ein Schuhmacher; denn dort stehen die Vorurtheile in einem umgekehrten Verhältnisse zu den unsrigen. Der Apotheker sprach also unsern Reisenden unaufgefordert an, unterhielt ihn von der Einrichtung seiner Apotheke, ja bot ihm selbst seine Gastfreundschaft an und wagte zuletzt das Schrecklichste, ihm seine Adresse zuzustecken. „Kein Kaufmann in Frankreich“, erzählt der Verf., „kein Spekulant, kein Betrüger, rühre sich also aus seiner Stube, ohne seine Adresskarte bei sich zu führen, eine Karte, auf der sein Name, seine Wohnung, wie auch eine Beschreibung seines Geschäfts, seiner Unternehmungen, kurz Alles steht, womit er sich dem Publikum empfehlen will. Um grössere Aufmerksamkeit zu erregen, werden auf diese Karten auch verschiedene Zeichnungen, Portraits, Pläne von Städten abgedruckt; denn es liegt ja Alles daran, seinen Namen am weitesten zu verbreiten, zu zerstreuen, zu verkünden, mit einem Worte: zu zerschmieren und zu Geld zu machen.“ „Ihr“, ruft der Verf. in einem sehr salbungsvollen Tone aus, „ihr ehrlichen Heimathländer habt von solchen Dingen noch keinen Begriff; sie werden aber auch zu euch gelangen, wenn ihr erst besser glauben werdet, dass die Civilisation, das Glück und die Würde der Nationen in Strumpf-, Licht-, Zucker- und Puderfabriken, in Dampfmaschinen, Eisenbahnen, kurz in dem Handel, der Industrie, in den Städten liege.“ Ist dies eine Parodie auf das Treiben unserer Zeit? Es ist wahr, zu viel Handel und Industrie machen die Menschen moralisch nicht besser, zu viele Städte körperlich gewiss nicht rüstiger. Auch gestehen wir jedem Deutschen, jedem Franzosen und Engländer das Recht zu, dies zu sagen. Nie und nimmermehr aber können wir es bei einem polnischen Schriftsteller loben. Wer das Vaterland des Verf. kennt, weiss, dass es nicht Ueberfluss an Handel, Industrie und Städten leidet; wer es kennt, weiss, dass wenn es einst mehr Handel, Industrie und wohlhabende Städte gehabt hätte, es nicht das geworden wäre, was es jetzt ist, das Grab einer edlen, mit einem der schönsten Charaktere begabten Nation. Ein wohlhabender, zahlreicher, gebildeter Bürgerstand würde den Uebermuth des Liberum-veto Adels bedeutend gezähmt, ja ihn gar nicht haben zu diesem Ungeheuer werden lassen, das sich selbst über den

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/363&oldid=- (Version vom 14.2.2021)