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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

2. Kritiken.

 Listy z zagranicy przez Stefana W. Briefe aus dem Auslande von Stephan W(itwicki). Leipzig, Librairie etrangère.

 Die Gabe, in einer Sprache schön und fliessend zu schreiben, ist eine sehr beneidenswerthe, allein dieselbe kann nicht schlimmer missbraucht und entwürdigt werden, als wenn man das Mittel zum Zweck macht. Die Sprache, das Wort bleibt immer nur das Kleid, die Schale, in der wir einen Kern, einen Gedanken suchen. Der Verf. beschreibt oder vielmehr bespricht eine Reise in Deutschland, auf welcher er Baden-Baden, Mainz, Frankfurt am Main, Köln, Karlsruhe besuchte und lässt dann eine breite Beschreibung von Paris folgen. Der Grundton des ganzen Büchleins ist, wenn wir ihn mit einigen Worten angeben wollen, folgender: „Ohne viele, grosse, prachtvolle Gotteshäuser und sehr, sehr starke Frömmigkeit ist die Erde ein schreckliches Jammerthal, und wer wahrhaft glücklich hier und selig dort sein will, muss sich von aller Philosophie fern halten; ja sogar Gewerbe, Handel und Industrie sollen sehr schädlich und daher zu verwerfen sein.“ Eine traurige, gar traurige Thatsache, dass viele der Edelsten des polnischen Volkes, nachdem sie es aufgegeben, durch irdische Gewalt ihr Vaterland zu retten, sich einem düsteren, trüben Brüten über die Unerforschlichkeit der Handlungen des Himmels überlassen und zu der Ueberzeugung gekommen zu sein scheinen, menschliche Gewalt und alles menschliche Thun sei zu verachten, nur das Uebermenschliche könne helfen; und darum müsse man fromm, sehr fromm sein, fleissig in die Kirche gehen, selbst Prophezeiungen nicht so schlechtweg verachten. — Unglückliche politische und sociale Verhältnisse haben es verhindert, dass weder wahre wissenschaftliche Bildung noch viel weniger philosophisches Denken und Forschen, die Basis alles Wissens, sich in Polen so recht heimisch machten. Aber dass die Wortführer nichts Besseres zu machen wissen, als heilige Seufzer ausstossen, und, wie wir es auch in diesem Buche sehen, alles freie Denken und Forschen verdammen, ja sogar Gewerbe, Handel Industrie, nächst der nationalen Bildung die ersten Wohlfahrtsquellen eines jeden Landes, verächtlich zu machen suchen, das muss einen jeden Menschenfreund schmerzen und jeden Freund des edeln, hochherzigen polnischen Volkes mit tiefem Kummer erfüllen. — Eine Reise in Deutschland von einem so vortheilhaft bekannten Schriftsteller müsse, so dachten wir, als wir mit grosser Begierde das Buch in die Hand nahmen, interessante Betrachtungen des Geschehenen, eigene Beobachtungen, lesenswerthe Raisonnements enthalten; der Name des Verf. bürgte uns im Voraus dafür, dass wir nicht Reisebeschreibungen à la Hahn-Hahn bekommen würden. Desto schmerzlicher wurden wir bei’m Durchlesen des Buches enttäuscht. Uns scheint, dass wenn ein bedeutender Schriftsteller sich veranlasst findet, ein Buch zu schreiben, das Publikum das Recht hat, nicht beschriebene Blätter mit hübschen Redensarten, Neckereien, kleine Anreden an den Adressaten und werthlose Einzelnheiten zu erwarten, sondern eine lehrreiche, treue Beschreibung von Gegenständen, die der Verf. für wichtig genug halten kann, die Leser von denselben[WS 1] zu unterrichten. Die slawischen Literaturen haben, mit anderen europäischen verglichen, ein weit kleineres Lesepublikum und eine weit schwierigere Stellung; desto kerniger und inhaltsreicher müssen die Produkte sein, um jenes zu vergrössern, diese zu verbessern. Das polnische Volk hat, trotz den schweren Drangsalen, die es im Laufe der Zeit durchgelitten, ungeachtet der blutigen, zerschmetternden Schläge, die es empfangen, dennoch seine Literatur tapfer gerettet, und achten, hochachten muss man ein Volk, das, obgleich körperlich zerfleischt, doch ein moralisches Leben noch zu behaupten weiss. Polen hat sich das Theuerste erhalten, seine Sprache, seine Literatur, in ihr soll das politisch

Anmerkungen (Wikisource)

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/362&oldid=- (Version vom 14.4.2020)