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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

im dramatischen Felde Knjażnin mit rühmlichem Erfolge. Ohne selbstständiges Talent, aber ausgerüstet mit vielseitiger Bildung, der Kenntniss der fremden Sprachen und der Gewandheit im russischen Ausdruck beutete er die reichen Erzeugnisse der französischen dramatischen Literatur mit der grössten Geschicklichkeit zu seinem Ruhme aus, indem er aus nicht selten wörtlich übersetzten Bruchstücken aus französischen Dramen eigene Tragödien und Komödien zusammenklebte. Die Leistungen des arbeitsamen Schriftstellers bilden einen bedeutenden Fortschritt in der russischen dramatischen Literatur; in Hinsicht des Geschmacks und der Sprache liess er seinen Vorgänger Sumarokow weit hinter sich. Aber er selbst wurde noch viel weiter überflügelt von Ozerow. Sein entschiedenes Talent machte Epoche in der russischen Literatur, der er ein zweiter Racine wurde. Ohne Kraft, Leidenschaften und Charaktere zu zeichnen, riss er durch die lebendige Darstellung seiner Gefühle hin. Seine Tragödie war eine Kopie der französischen und ist darum jetzt auf dem Theater wie in der Lesewelt vergessen; aber in der russischen Literatur bleibt sie ewig unvergesslich. Die russische Sprache machte durch sie einen grossen Schritt vorwärts.

 Zu gleicher Zeit mit Ozerow trat Krjukowski auf, dessen Tragödie „Pożarski“ einen ausserordentlichen Erfolg hatte, aber fast nur wegen ihrer patriotischen Ergiessungen, welche[WS 1] zur Zeit des Kampfes mit Napoleon nicht anders, als mit dem grössten Beifall aufgenommen werden konnten.

 Auch Krylow schrieb Komödien, geistreich und witzig, aber bei ihm verdunkelte der Ruhm des Fabeldichters den des Dramatikers. Chemnicer und Dmitrijew weit hinter sich lassend, erreichte er in der Fabel die grösstmögliche Vollkommenheit. Die Fabeln Krylow’s sind eine Schatzkammer des russischen praktischen Sinnes, des russischen Witzes und Humors und des russischen Dialogs; Einfachheit und nationale Färbung zeichnen sie besonders aus. Krylow ist ein vollkommen nationaler Schriftsteller, und jetzt bereits der Erzieher von nicht weniger als dreissig Geschlechtern (?). Die Fabel hat als Dichtung sehr wenig Wahrheit (?); ihre Erscheinung ist nur bei einem Volke möglich, das noch im jugendlichen Alter steht und darum ist der Osten ihre Heimath. Bei den Griechen erschien sie zu rechter Zeit, nämlich mit Aesop. Die Franzosen, welche in der Literatur in Allem die Alten nachahmten, meinten, auch sie müssten eine Fabel haben, weil sie bei den Griechen gewesen; und die Russen, welche wieder die Franzosen in Allem nachahmten, glaubten, sie müssten eine Fabel, weil sie bei den Franzosen da ist. Uebrigens trat bei den Russen die Fabel mit Chemnicer besser und gelegener auf, als bei den Franzosen mit Lafontaine. Diese unnatürliche Gattung der Dichtung setzte sich in der französischen Literatur ausserordentlich fest und erhielt daselbst eine eigenthümliche nationale Form. Auch in Russland machte die Fabel Glück; wie sie in Frankreich ihren Lafontaine hatte, so hat sie in Russland ihren Krylow, und dafür kann man ihr ihre Unwahrheit als Poesiegattung gern verzeihen. Die Kenner sagen, die Architektur im Rococogeschmack sei unwahr; wir bejahen das; aber Rastrelli ist trotz dem nicht weniger ein grosser Künstler. Was immer die Fabel sei, Lafontaine und Krylow sind in der That und mit Recht der Ruhm und Stolz ihrer einheimischen Literaturen.

 Im Jahre 1805 erschienen auch die ersten Dichtungen Žukowki’s und Batjuschkow’s in den Journalen. Allein jeder von ihnen bildete eine besondere Schule in der russischen Literatur und trug neue Lebenselemente in dieselbe hinein. Auch war der Einfluss derselben zur Zeit der Periode Karamzin’s noch weniger fühlbar, weil ihre eigentliche Wirksamkeit erst nach dem Jahre 1814 thätig zu sein anfing: sie gehören daher in die folgende Periode.

(Zweiter Artikel folgt.)

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/361&oldid=- (Version vom 13.4.2020)