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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Schläfchen beendet hatten. Kaum aber hatten diese den letzten Schlummer aus den Augen gerieben, da traten schon die jungen Männer und Frauen zu ihnen und brachten ihre Bitten vor: die Söhne ersuchten um die Erlaubniss, ihre Schwiegereltern besuchen, die Schwiegertöchter ihren Eltern ihre Verehrung beweisen zu dürfen. Beim Weggehen befahl die alte Mutter im Hause den jungen Frauen, sich genau zu erkundigen, was es für Erwählte gäbe; denn das war eine Hauptsorge der russischen Matronen. Diese Besuche dauerten bis zum Abend und bildeten eine Art von Recognosciren, um zu erfahren, was man von dem Feste zu erwarten habe. Hatten sich diese Besuche endlich entfernt, so kamen die Herzensgäste der Hausmutter: die „babki-pozywatki.“ Dieses waren die eigentlichen Einladerinnen von Seiten der Hausfrau, gewandte Zungen, die wohl Gäste für das Haus zu werben verstanden, aber eben so wenig sich scheuten, jeder Hausfrau zu spotten und ihr mancherlei wahre und erlogene Dinge nachzureden, wenn sie nicht gehörig bewirthet wurden; eine gefürchtete Gesellschaft, die mit allen erdenklichen Ehrenbezeugungen empfangen und mit Speisen und Getränken überhäuft wurde. Ihre spitzen Zungen kehrten sich leicht gegen die Häuser und Familien der nächsten Gegend und nahmen sich’s heraus, manches zu besprechen, was andere Menschen kaum zu denken wagten. Nachdem sie sich reichlich gesättigt und mancherlei Geschenke mit auf dem Weg empfangen hatten, trug ihnen die Hausfrau auf, zu allen Verwandten und Bekannten zu gehen und alle so herzlich und verbindlich als möglich auf den und den Tag zu Gaste zu bitten. Mit dem frühen Morgen des nächsten Tages begannen die babki ihre Besuche in den nahen Familien. Dieses war die ehrenvollste Einladung, welche man den Frauen machen konnte. Sogleich griffen sie nach ihren Kleidern und den Schmucksachen. Die Verheiratheten waren mit ihrem Putz bald fertig, aber bei den Mädchen erforderte er eine besondere Sorgfalt; keines getraute sich da allein nach seinem Kopfe zu verfahren, es mussten einige Verwandte und Freundinnen aus der Nachbarschaft herbeigeholt werden, damit nichts versehen werde.

 Auch die Hausväter waren unterdessen nicht müssig geblieben, denn auch von ihrer Seite mussten die Gäste eingeladen werden, wenn man nicht beleidigen wollte. Schon am frühen Morgen riefen sie den Swat (chožalyj swat) herbei und sandten ihn zu Verwandten und Bekannten. Die Swaten waren gewandte und ihres Amtes wohlkundige Männer. So ein Swat geht immer früh Morgens aus, seinen schön verzierten Stock in der Hand. Tritt er in ein Haus, so betet er zuerst vor den Heiligenbildern, verbeugt sich dann vor dem Hausherrn und der Hausfrau und spricht: „Philimon Spiridonowitsch und Anna Karpowna verbeugen sich Euch, Väterchen Artamon Triphonowitsch, und Euch, Mütterchen Agaphja Nelidowna.“

 Bei diesen Worten verbeugt sich der Swat bis zum Gürtel, und die Becomplimentirten antworten ihm ebenfalls mit einer Verbeugung: „Wir danken unterthänigst dem Philimon Spiridonowitsch und der Anna Karpowna.“

 Der Swat beginnt wieder: „Sie haben mir befohlen, Euch, Väterchen Artamon Triphonowitsch, und Euch, Mütterchen Agaphja Nelidowna, unterthänigst zu bitten: den Abend ein Paar Stunden bei ihnen zu bleiben, nach Belieben sich die Zeit zu vertreiben, auf hübsche rothe Mägdlein zu schauen, ein Stückchen Brodt und Salz zu kauen, in’s gebratene Gänschen mit ihnen zu hauen.“

 Auf diese freundlichen Worte des Swaten erwiedert man: „Philimon Spiridonowitsch und Anna Karpowna machen sich ohne Grund Schaden und Mühe; wir, das heisst, die Unsrigen, werden auch ohne diese Ehre den Abend zubringen.“

 Da sagt der Swat wieder: „Sie lassen Euch, Väterchen Artamon Triphonowitsch, und Euch, Mütterchen Agaphja Nelidowna, bedenken: Schon seit Jahrtausenden ist das so eingeführt, mit uns hat es nicht angefangen, mit uns wird es nicht aufhören. Störet also nicht die Festlichkeit, bringt die guten Leute nicht zur Verzweiflung. Ohne Euch giebt es keine Freude bei Philimon Spiridonowitsch, ohne Euch giebt’s kein Mädchenfest bei Anna Karpowna.“

 „Ja, ja, mein Swatuschka (lieber Swat!)! Bei Philimon Spiridonowitsch ist Alles im Ueberflusse, und Gäste werden genug hinkommen,“ antwortet der Hausherr.

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/35&oldid=- (Version vom 15.9.2022)