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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

gewillt sind. Allein auch angenommen, man befände sich in der Lage, alles Dasjenige zusammen zu haben, was in Bezug auf slawische Mythologie veröffentlicht worden ist, so würde man doch nur wenig gefördert sein; denn sobald man sich mit den meisten dieser Schriften, gleichviel ob von Slawen oder Deutschen herausgegeben, beschäftigt, wird man bald ihren gemeinsamen Fehler gewahr, die Kritiklosigkeit, mit welcher sie grösstentheils verfasst sind. Man steht in der Mitte eines grossen Materials, hat um sich eine Anzahl von Berichten, Beschreibungen, Liedern, Sagen, Sprüchwörtern, Gewohnheiten, Sitten, Sprachbemerkungen aller Art, die sämmllich als Beweise für einen behaupteten Satz aufgestellt werden, ohne dass nur im Mindesten Rücksicht darauf genommen wäre, von wem die Nachricht kommt, zu welcher Zeit, unter welchen Umständen, an welchem Orte, wie ausführlich oder gedrängt, mit welcher allgemeinen Kenntniss und Bildung, wie treu und wahrhaft, von welchem geistigen Standpunkte und zu welchem Zwecke sie niedergeschrieben wurde. Das neueste, oft unbegründeteste Zeugniss wird sorglos als gleich beweiskräftig neben, ja oft über das älteste gesetzt, Wortableitungen, und wären sie die allerwillkührlichsten, werden oft für thatsächliche Beweise genommen, Sitten, Gewohnheiten und Sprüche werden, ohne ihren Ursprung und Zusammenhang gründlich zu erforschen, aus allen Weltgegenden und von allen Völkern zur Unterstützung einer Ansicht in bunter Reihe herbeigezogen, und wo sich überhaupt nur irgend eine nähere oder entferntere Aehnlichkeit mit slawischen Sitten, Gebräuchen, Göttergestalten und Einrichtungen antreffen lässt, wird sie ohne weiteres für gleichberechtigt und vollgültig mitzuzählen in der Beweisführung angesehen. Daraus entsteht natürlich eine so grosse Verwirrung, ein so vollständiges Verschwimmen der einzelnen Formen, eine solche All-Einsmacherei, dass die Seele des Lesers beängstet und muthlos wird, sich in einen wüsten, bodenlosen, traumartigen Zustand versetzt fühlt, und sich endlich, ermattet und gleichsam von wilden Gespenstern todtgehetzt, mit Ueberdruss, Eckel und Aerger von einem Gegenstande abwendet, der das Gemüth in fieberhafte, ruhelose Aufregung bringt, ohne einen Kern, einen Mittelpunkt zu bieten, von dem aus man in den Stand gesetzt wäre, irgendwie eine sichere, individuelle Gestalt zu erkennen. Man sieht leicht, dass dieser Vorwurf besonders die deutschen Bearbeitungen der slawischen Mythologie trifft, während die meisten Schriften der Slawen auf diesem Felde mehr unkritische Kompilationen des Materials genannt werden müssen. Unter uns nämlich ist seit dem Erscheinen von Kreuzer’s Symbolik und dem Emporkommen der sprachvergleichenden Grammatik besonders durch Hinzutritt der sogenannten spekulativen tieferen Auffassung wissenschaftlicher Gegenstände, bei dem Missbrauch, welcher mit diesen Ansichten und Richtungen in unerhörter Weise getrieben wird, eine Behandlungsart und Darstellung wissenschaftlicher Dinge ins Leben getreten, die, innerlich selbst verwirrt, nur wieder verwirrend und die festen Gestalten der Individuen auflösend einwirken kann. Da werden Brama, Buddha, Jupiter, Wuotan, Zeus, Perun, Prono, alle ägyptischen, chinesischen, indischen, persischen, kurz die Gottheiten aller Völker des Erdbodens, als gleich und Eins aufgezeigt, jede Individualität verschwindet, und statt der kräftigen und lebensvollen Gestalten, mit denen der Glaube den Himmel, die Erde und das Reich des Todes bevölkerte, übergiesst sich Alles mit einem grauen, gestaltlosen Nebel, der sich nur in andere wunderliche Bildungen formt, je nachdem der Wind aus Norden, Süden, Westen oder Osten bläst. Die tiefsten, ureigensten Gedanken aller Nationen erblassen zu dem Schatten einer einzigen Uroffenbarung, mit welcher die verschiedenen Völkerstämme nur ein dieselbe entstellendes Spiel getrieben und sie mit willkührlichen, unschönen, oder mindestens das wahre Wesen verdeckenden Schnörkeln und Zierrathen herausgeputzt haben, während das Grosse, Schöne und Poetische in dem Glauben der einzelnen Völker nur eben als Weisheitstrümmer einer altersgrauen Vergangenheit erscheint, deren Anblick das Herz mit Schmerz und Wehmuth

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/348&oldid=- (Version vom 31.3.2020)