Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/34

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

ebenso standhaft bei ihrer Ansicht beharrten. Daraus entspann sich oft gar heftiger Streit und man konnte zu keinem Schlusse kommen. Sahen sich die jungen Frauen etwa in Minorität und hatten sie gerechten Grund zu besorgen, ihre Ansicht könnte durchfallen, so beschlossen sie nicht selten die Berathung mit den Worten: „Ach, bis zum Wasilij-Abend ist’s noch lange Zeit, da wollen wir es noch ein Bischen überlegen; aber nichts für ungut, dann kann ja jede ihre Meinung sagen.“ Aber das geschah nur, wenn die Aelteren hartnäckig auf ihrer Forderung bestanden. Während dieser Zeit nun hatten die jüngern Frauen vollauf zu thun. Sie gingen von Freundin zu Freundin und suchten überall ihre Ansicht durchzusetzen mit allen den kleinen Künsten, welche den jungen Frauen so schön anstehen. Nach diesen Präliminarien fing man an, einander Geschenke zuzuschicken. Die Kindsfrauen und alten Kammerfrauen gingen von Hofe zu Hofe und brachten alles wieder zu Frieden und Eintracht.

 Das Haus, welches man zur Feier des Weihnachtsfestes auswählte, musste immer ein reiches, vermögliches sein, „wo man gut lebte.“ Schon lange vor dem Wasilij-Abend fing die Mutter eines solchen Hauses an, ihre Verwandten zu besuchen und lud Alt und Jung, jeden namentlich, mit vielfachen Bitten und Ehrenbezeugungen zu dem Weihnachtsfeste ein. Nach ihr machten in den folgenden Tagen, ihre Aufträge in der Hand (narjadnoje djelo), die Kindsfrauen dieselbe Runde, „um dieses und dieses Mädchen auf das Weihnachtsfest zu Gaste zu bitten.“ Trat solch eine Kindsfrau in das Haus, so war Alles Jubel und Freude; man nahm sie mit allerlei Ehrenbezeugungen auf und während sie „ihrem Auftrage zufolge ihre Verbeugungen austheilte (ponarjadu razdawala poklony)“, wobei sie wieder jeden einzelnen bei seinem Namen mit Hinzufügung seines Geburtsortes aufrief, und nun die Einladungen ankündigte,“ — sorgte die Hausfrau dafür, dass die Abgesandte gehörig bewirthet wurde. Bei einer Schale Wein plauderten die guten Kindsfrauen alles aus: wer eingeladen wäre und wen man nicht haben wolle, was für Jünglinge und was für Jungfrauen man für einander bestimme. Solch ein Paar hiess Sužennyja, für einander Bestimmte, Erwählte; die Hausfrau hatte das Recht, wenn es ihr so gefiel, für dieses oder jenes Mädchen zu bestimmen, doch nahm sie hierbei immer auf die Familienverhältnisse der jungen Leute Rücksicht, ebenso auf die nähern Beziehungen, wenn sich solche zwischen zwei Leuten entwickelt hatten. Der Erwählte hatte seiner Erwählten gegenüber mehr Vorrechte, als ein anderer Jüngling, doch war er dafür auch verpflichtet, für ihre Unterhaltung und die Befriedigung ihrer etwaigen Bedürfnisse und Wünsche Sorge zu tragen. Unter den Eingeladenen durften die nächsten Anverwandten nicht fehlen; den Unverheiratheten unter ihnen vergass man nie hübsche Mädchen auszuwählen. In Hinsicht derer waren also die Einladerinnen nicht so zurückhaltend, über die anderen aber waren sie schwerer auszuforschen. Da musste man seine Zuflucht zu einer List nehmen. Die gesprächige Hausfrau führte die Kindswärterinn in das Speisegewölbe und hier, wo sie ganz allein waren und Niemand sie hören konnte, entlockte sie der guten Alten ein Geheimniss nach dem andern und vergalt ihr jede neue Nachricht mit einem oder einigen Büscheln ukrainischer Früchte. Während dess waren die Mädchen ebenfalls auf das Ihrige bedacht; sie durchsuchten die Schmucksachen ihrer Mutter und sandten unter der Hand ein altes Mütterchen (babuschka, die in keinem Hause fehlt) zu der oder jener Freundin, zu fragen, mit wem sie auf das Weihnachtsfest kommen, wie sie sich putzen, was für einen Kokoschnik, was für einen Saraphan sie nehmen werde und dergleichen mehr. Alle diese Einladungen und die ganze Vorbereitung geschah binnen der Tage „vor dem Sterne“ (do zwjezdy) vor dem heiligen Abende. An diesem musste Alles beendet sein, und man fing weder früher an, noch hörte man später auf, denn so war die Sitte.

 Endlich erschien der „Grosse Tag“ (Welikij denj). Alle Rechtgläubigen hielten nun nach der langen Fastenzeit (die ganze Adventszeit hindurch) wieder das erste Mahl mit Fleisch - und Milchspeisen; und das that ein jeder zu Hause und zwar sehr frühe, so frühe, dass die alten Leutchen schon vor Mittag ihr

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/34&oldid=- (Version vom 15.9.2022)