Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/324

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Kräften benutzte. Nach einigen Gebeten und geistlichen Gesängen, welchen die Landleute andächtig zuhörten, erlaubte man ihm, sich zu erholen und nach Wohlgefallen sich einzurichten. Alsdann hatte er ein bequemes Leben, und mit den Fragen: „Woher kommst du, Alter? Was gibt’s Neues?“ eröffnete man ein langes Geschwätz über die Chronik des ganzen Bezirks. Ich schweige davon, was die Bettler thaten, wenn ihrer mehrere daheim zusammen kamen, wo sie sich vor Niemand scheuten, und bei einem Glase Schnaps ihre ganze Sittenverderbniss blosstellten, ja oft die schmachvollsten Dinge trieben. Hier rühmten sie sich, wie sehr sie hätten schluchzen müssen, um den Leuten ein Almosen zu entlocken, und wie sie sich verkrüppelt gestellt, um Mitleid zu erwecken; bei solchen Zusammenkünften vertranken und verjubelten sie ihre letzte Kopeke. Mit greinender, weinerlicher Stimme bat der Bettler um eine Gabe, wurde sie ihm jedoch abgeschlagen, dann schickte er dem Verweigernden leise Flüche und Verwünschungen nach.

 Zur Zeit von Kirchenfesten sangen sie, eine fromme Miene annehmend, allüberall religiöse Lieder, nicht nur an den Thüren der Bauernhäuser, sondern auch an den Thüren der Edelhöfe. Bei einer solchen Gelegenheit sangen sie ohne alle Musikbegleitung; in Russinenland hingegen verbanden sie mit dem Gesange auch das Spiel auf der Leier.

 Von solchen Liedern entsinne ich mich noch eines kleinen Bruchstücks, das von dem jüngsten Gericht und dem Antichrist handelte und die Zuhörer mit Grauen erfüllte.

Donner werden ringsum krachen,
werden Mensch und Thier erschlagen.
Ach! wohin soll’n wir uns flüchten,
wenn wir diese Jahr’ erleben.
Antichrist wird üb’rall reiten,
Ofen von Eisen an der Seiten:
Wird, wer nicht an ihn will gläuben,
Jeden in den Ofen treiben.

 Am öftersten aber sangen sie das Lied vom Lazarus, welches der Zuhörer Mitleiden am besten erweckte und das etwa folgenden Inhaltes war: „Was ist geschehen vor Jahren? — Es war ein reicher Mensch, der hatte Gewand von Silber und Gold. Er ass, trank und tanzte nur, und bankettirte Tag und Nacht und nährte Stolz in seiner Brust. Und obwohl er nun so in Ueppigkeit lebte, so starb doch Lazarus vor Hunger auf dem Dünger. Als ihn der Reiche sah, wandte er sich ab von ihm, und als Lazarus ihn als christlichen Glaubensbruder um Hülfe ansprach, so schmähte ihn der Reiche und spie ihn sogar mit Verachtung an. Lazarus starb in Armuth, aber den Reichen ereilte seine Strafe. Die Teufel stürzten auf sein Schloss los:

W tém śmierć go dusić skoczy,
Na wiérzch wylazły oczy,
aż z gardła piana toczy.

A wtém okrutni czarci,
Jako na zwiérza charci,
Srogim jadem zażarci,

Porwali go czém prędzéj
od skarbów, od pieniędzy,
do piekła wiecznéj nędzy.

Tam gore od dnia do dnia
Ten nieszczęśliwy zbrodnia,
jeżyk jako pochodnia.

da springt der Tod, ihn zu würgen,
auf den Scheitel kriechen die Augen,
ja aus der Kehle rinnt der Schaum.

Da reissen grausame Teufel
wie mit grimmen Gift genähret
Windspiele auf das Jagdthier,

ihn weg so schnell als möglich
von seinen Schätzen und Geldern,
in der Hölle ew’ge Gluthnoth.

Dort brennt von Tag zu Tag
der unglückselige Missethäter,
seine Zunge ist wie eine Fackel.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/324&oldid=- (Version vom 15.9.2022)