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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

nicht einmal anfangen darf, will man ein reines Gewissen bewahren. Warum sollen wir nicht sagen, dass dort die Manen unserer Vorfahren entstellt, dass sie gewürgt und gottloser Weise gemordet werden? Wer seine Feder dazu hergibt, verletzt ja nur den eigenen Bruder am andern Ende Europas, ruft ein lautes Geschrei gegen sich wach und trägt die Vernichtung als Lohn davon. Aber für die Literatur ist das gar nicht schlecht; denn auf diese Weise halten wir gegenseitig Wache über einander. Es ist das in der That ein solcher Gewinn für uns, wie ein Balken für den Gescheiterten; nur in unserer Lage hat es eine grosse Bedeutung.

 Es gibt für uns Gegenden, wo der Freund der Geschichtschreibung seinen Gedanken nur den entfernten Jahrhunderten zuwenden darf, ja sogar solche, wo man nur Diplome, Dokumente und alte Chroniken von ihrem Staube säubern, aufklären, verbreiten und den in anderem Raume oder anderer Zeit lebenden Historikern vorbereiten und darreichen muss. Es gibt Gegenden, wo dem Polen bei Todesstrafe oder wenigstens bei Vernichtung seines Namens auf der Liste der Nation verboten ist, über das Slawenthum zu schreiben, und wieder gibt es Orte, wo man mit den neueren und neuesten Dingen sich beschäftigen muss, um seine Zeit entsprechend anzuwenden. Einer unserer sehr wortreichen aber gedankenarmen Kritiker zeigt, so oft er ein Werk zu wiederholten Malen unter die Feder nimmt, auf das Vollkommenste, welchen Standpunkt der Verfasser einnimmt, d. h. ob er Jemandem helfen, Jemanden protegiren oder ihn in Gefahr setzen könne; niemals aber wird er sagen, was das Werk werth ist. Vielleicht lebt er dort, wo es nicht anders geht; aber dann ist’s besser, nichts zu thun, als in den vaterländischen Fluren herumzulaufen, um sie mit Unkraut zu besäen.

 Wenn Jemandem bei Bebauung der einen Wissenschaft Hindernisse in den Weg gelegt werden, die er nicht überwinden kann, da probiere er’s in einer andern, welcher jeder Himmelsstrich günstig ist. Lebensvoll, reizend und herrlich ist das Feld der Naturwissenschaften. Wer in irgend einen Gegenstand sich hineinarbeitet und mit seinem Gedanken in seine Tiefe hineindringt, wird allemal ein Wohlgefallen daran finden, dem Allgemeinen einen Dienst erweisen und sich selbst genügen.

 In Hinsicht des Slawenthums müssen die Polen entfalten, was in ihnen Urslawisches, Ursprüngliches ist, die Geschlechter näher aufklären, welche gegenwärtig auf der ersten Stufe der Auffassung des slawischen Standpunktes stehen. Man muss ihnen zeigen, es sei nicht genug, sich an eine Kraft anzuklammern, sondern man müsse auch verstehen, wohin diese Kraft zielt; zeigen, dass die Slawen keiner Rache bedürfen an den germanischen und romanischen Geschlechtern, sondern sich selbstständig entwickeln müssen, um als Nation in der allgemeinen Sache der Menschheit zu wirken. Lemberg und Wien scheinen in dieser Hinsicht ausserordentlich vortheilhaft gelegen, nur muss man seine Ausdrücke zu beherrschen wissen. Dort wird Niemand mit Gewalt noch durch geschickte Einwirkung verleitet, die Wahrheit auf den Schraubstock zu legen; auch findet man leicht Gelegenheit und Mittel, jenen Zweck anszuführen; denn mühelos kann man dort mit dem Slowaken, mit dem Donauserben oder aber mit dem Czechen, dem Mährer und dergl. von der alten, der gemeinsamen Sache ein Wort reden. Dort darf man laut aussprechen, was das Tatarenthum sei, und dass wer den Einen wegen seines Lebens todtschlagen will, sich gewiss für die Andern nicht aufopfern werde.

 Im Allgemeinen können die Polen beinahe jede Wissenschaft und jeden wissenschaftlichen Gegenstand in einem jedem Lande bearbeiten, nur müssen sie wohl bemerken, von welchem Standpunkte sie ihn auffassen, welche Seite desselben sie sich auswählen und welche sie anderen Gegenden überlassen wollen. Aus Lelewel’s Artikel über Raczyński’s Numismatik haben wir erst erfahren, dass die Radziwillischen Sammlungen von numismatischen Schriften in Charkow sich befinden;

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/313&oldid=- (Version vom 22.2.2020)