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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

empfangen Unterstützungen an Geld, an Kleidung und Büchern. Auf Universitäten werden 19 Studenten unterstützt, ein Landschullehrer reist auf Kosten der Gesellschaft; in Gymnasien bekommen 68, in Schullehrerseminarien 44, in Präparandenschulen 37 junge Männer Zuschuss; ausserdem erhalten sie 8, welche sich den Künsten, und 7, welche sich den Handwerken widmen; im Ganzen hat die Gesellschaft gegenwärtig 184 Stipendiaten; Unterstützung überhaupt erhielten bis diesen Augenblick 219. Zu diesem Behufe kam in den Kassen der Gesellschaft eine Summe von 11,818 Thlrn. 17 Sgr. 6 Pf. ein. — Diese Zahlen sprechen stärker zum Ruhme der Gesellschaft, als die glänzendsten Lobeserhebungen. Die Gesellschaft ruft aus unserem Geschlechte eine neue Kraft hervor, und das nicht nach Rücksicht der Atteste, sondern nach ihren Talenten. Dabei findet sie unter allen Klassen des Volkes reichliche Unterstützung, denn sie wusste die nationale Tendenz mit der Entwickelung der Humanität, mit dem Fortschritte zu vereinen. — Wenn doch auch die andern Provinzen der alten Republik nach Maassgabe der Möglichkeit etwas Aehnliches hervorrufen wollten.

 Das polnische Theater (so heisst es im Dziennik domowy S. 39 aus Posen) ist nun eröffnet; wir sahen ein Stück, worin 14 Personen spielten. Es hat nichts Ueberraschendes, aber entspricht seinem Standpunkte und der Grösse der Stadt. Eine Besorgniss jedoch können wir nicht verhehlen, es ist die um das Repertoir. Die polnischen Schauspiele bisher wurden unter dem Einflusse fremder Literaturen und unter Ueberwachung überaus strenger Censuren geschrieben. Auf der andern Seite hat erst seit wenigen Jahren polnisches Leben in der Literatur gehörig durchzudringen angefangen. Was ausnahmsweise Fredro für das Theater gethan, ist allzubekannt und ein Gemeingut. Die Arbeiten Dmuszewski’s athmen nur Nationalität und können heuzutage nicht unterhalten; so bleiben noch kaum die Sachen von Skarbek und einigen andern wenig bekannten Schriftstellern. Und auch die sind noch nicht besonders. Im Ganzen genommen treffen es unsere Künstler noch nicht, dem Geiste der Zeit zu entsprechen, denn die Autoren haben ihnen den Weg verlegt. Es sollten erst dramatische Schriftsteller auferstehen. Es ist wahr, dass „das Mittagsessen mit Magdusa“ besser ist als „der Geizhals“ Molières, ein Stück aus den Zeiten Ludwigs des XIV. Das sogenannte Charakterlustspiel ist schon ganz darnieder. Es konnte einige Bedeutung haben, so lange man Walter Scott und die vielen ausgezeichneten Romanschriftsteller nicht kannte, welche die Charaktere gänzlich erschöpft haben.

 Switezianka, eine dramatische Phantasie von Lucian Siemienski, hat vor Kurzem die Presse verlassen. Wir können dreist behaupten, dass dies eine der schönsten poetischen Schöpfungen ist. Der Faden des Stückes gründet sich darauf, dass ein junger Fürst sich von einer Switezianka (Nymphe) in Liebe umstricken lässt, und ihr treu zu sein schwöret. Er geht auf Reisen: da zeigt sie sich ihm überall und immer in neuer Gestalt. Der Fürst kehrt nach Litthauen zurück; sein Vater und die Nachbarn heissen ihn durch Veranstaltung eines Maskenballes willkommen. Der junge Fürst, verdorben durch das Leben in der grossen Welt, fühlt frühzeitig lange Weile und begibt sich weg. Im Verlaufe des Balles schliesst sich eine Italienerin an ihn, mit der er Liebeshändel gehabt, dann eine Spanierin, eine pariser Grisette und endlich die Königin von Palmyra; und diess ist Niemand anders, als das Mädchen in allen den Gestalten, welche sie während seiner Reise angenommen. Der junge Fürst verspricht jeder Einzelnen, sie zu heirathen. Der Fürst segelt auf einem Schiffe nach Palmyra. Mitten auf dem Meere steht plötzlich Switezianka in der Gestalt der Königin von Palmyra vor ihm und reisst ihren Verlobten in den Abgrund hinab. Das Stück könnte selbst auf dem Theater aufgeführt werden. Der Charakter eines polnischen Don Juan, wie er sich in dem Auslande nicht selten ausbildet, ist ausgezeichnet wiedergegeben. Hie und da schlägt noch eine Spur der Vaterlandsliebe aus seinen ersten Jugendjahren durch, aus welcher sich später nichts als schmachvoller Egoismus mit allen Prätensionen des Standes gebildet hat. Die Handlung ist im Ganzen kurz, aber in ausserordentlich schlagender, charakteristischer, wahrhaft polnischer Darstellung. An jeder Stelle herrscht der feinste Zartsinn, wie man ihn nur in der höchsten Sphäre der Gesellschaft findet. Dz. Dom.

 Unter dem Titel: „Starožytna Polska; das alte Polen in historischer, geographischer und statistischer Hinsicht, beschrieben von Michael Balinski und Tim. Lipinski“, erscheint bei Orgelbrand in Warschau ein Werk, welches den Bedürfnissen der Gegenwart weit besser zu entsprechen verspricht, als die skizzenhafte und den Forschungen der Gegenwart fremde, obgleich zu ihrer Zeit sehr verdienstvolle „Beschreibung des alten Polens von Swięcki.“ Die Verf. haben mancherlei Reisen im Lande selbst unternommen, und die vorhandenen Quellen und Forschungen sorgfältig benutzt. Das 1ste Heft sollte zum 1. Mai erscheinen. Der Preis 6 Rbl. S. für 80 Oktavbogen erscheint nicht übergross, wenn das Werk die versprochene Vollständigkeit u. Wissenschaftlichkeit hat.

 Von Schafarik’s Alterthümern ist nun auch der zweite Band der deutschen Uebersetzung fertig. Eine höchst wichtige Zugabe zu demselben wird ein, mit der grössten Sorgfalt ausgearbeitetes Materienverzeichnis

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/308&oldid=- (Version vom 15.2.2020)