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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 Wir werden noch sehen, wie lange diese mystische Achtung für Cheraskow dauerte, welche trotz der kräftigen Erhebung einiger kühnen Geister erst bei der Erscheinung Puschkin’s völlig sich auflöste. Die Ursache derselben ist die rhetorische Richtung, welche die russische Literatur so tief erfasst hatte. Neben diesen schrieb Cheraskow noch drei Dichtungen in Prosa: „Kadm und Harmonia,“ „Polidor, der Sohn des Kadm und der Harmonia“ und „Numa Pompilius, oder das aufblühende Rom.“ Die Schicksale des Telemach von Fenelon, Gonzalve de Cordoue und Numa Pompilius von Florian waren die Muster zu diesen. Merkwürdig ist die Vorrede des Verfassers zu dem ersten: „Man rieth mir, diese Dichtung in Versen zu übersetzen, damit sie die Form eines Epos erhalte. Ich hoffe, die Leser können mir es glauben, dass ich im Stande war, dieses Werk in Versen herauszugeben, aber ich habe kein Gedicht geschrieben, sondern wollte nur eine einfache Erzählung abfassen, welche einer metrischen Behandlung nicht fähig ist. Wem die dichterischen Regeln bekannt sind, der wird beim Lesen dieses Buches fühlen, warum es nicht in Versen geschrieben.“ Weiter erhebt sich Cheraskow gegen die Meinung Tredjakowski’s, welcher behauptete, dass epische Dichtungen ohne Reim geschrieben werden müssten, und dass der Télémaque gerade deshalb nicht unter der Iliade, der Odyssee und Aeneide und über allen andern Dichtungen steht, weil er ohne Reim geschrieben ist. Die kindische Einfalt dieser Meinungen und Streitigkeiten beurkundet am besten, wie sehr man damals dem wahren Begriffe von Poesie entfernt stand, und wie man nur die Rhetorik allein in ihr sah. Im Polydor ist besonders die plötzliche Wendung Cheraskow’s an die russischen Leser bemerkenswerth. Die Namen derselben sind nur mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet, — ein charakteristischer Zug jener Zeit, welche in Drucksachen ausserordentlich skrupulös war.

 Eigenthümlich bleibt es dabei, dass Nowikow sich in sehr gemässigten Ausdrücken über Cheraskow ausspricht: „Im Allgemeinen werden seine Dichtungen sehr viel gelobt, und besonders haben ihn seine Tragödie Boleslaw, die Oden, Lieder, die beiden Heldengedichte, alle seine satyrischen Schriften und Numa Pompilius grosse Ehre und viel Lob gebracht. Seine Poesie ist rein und freundlich, sein Styl fliessend und kernig, seine Darstellungen kräftig und frei; seine Oden sind voll dichterischen Feuers, seine satyrischen Schriften voll Witz und angenehmer Einfälle, sein Numa Pompilius voll philosophischer Urtheile. Auch er wird mit Recht in die Zahl unsrer besten Dichter gesetzt und verdient grosses Lob.“ S. 237.

 Petrow galt für einen grossen Lyriker und einen witzigen Satyriker. Allein man kann sich kaum etwas Wilderes, etwas Gröberes und Uebertriebeneres denken, als diese plumpe Lyra des Seminarsängers. In seiner Ode auf den Sieg der russischen Flotte findet man eine Masse jener übertriebenen Schwülstigkeit, welche damals für lyrische Begeisterung und poetische Stimmung galt, und darum hat diese Ode die Zeitgenossen vorzüglich entzückt. Und in der That ist sie besser, als alles Uebrige, was Petrow geschrieben, weil alles Andere gerade zu schlecht. Der Mangel eines feinen Geschmacks und die Gemeinheit des Ausdrucks bilden den Charakter selbst seiner zarten Gedichte, in denen er seine lebende Frau und seinen gestorbenen Sohn besang. Aber die Macht der Tradition ist gross: Kaczenowski lobte noch im Jahre 1813, als Petrow längst schon nicht mehr war, denselben in seinem „Europäischen Boten.“ Merkwürdig bleibt auch bei Petrow, dass Nowikow sich nur kalt und fast spöttelnd und demzufolge, so wie er es verdiente, sich aussprach: „Im Ganzen kann man von seinen Schriften sagen, dass er sich anspannt, für einen russischen Lyriker zu gelten; und obgleich ihn Einige schon den zweiten Lomonosow nennen, so muss man doch zu diesem Vergleiche noch auf ein gewichtiges Werk warten und nach diesem erst den Schlusssatz aussprechen, ob er ein zweiter Lomonosow wird oder nur Petrow bleibt und die Ehre behält, Lomonosow’s Nachahmer zu heissen.“ (S. 163.)

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/280&oldid=- (Version vom 24.11.2019)