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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

3. Eine Kurze Geschichte der Matice czeska.[1]

 Ist nur der Keim ein wesenhafter und aus der Natur der Dinge erzeugter, mag er Anfangs noch so unscheinbar sein, er gedeiht in dem ihm angemessenen Boden, selbst unter ungünstigen, noch mehr bei begünstigenden Umständen zu einem mächtigen Gewächse. Ein Beispiel davon giebt uns die allmählige, sicher fortschreitende Entwickelung der „matice česka“. Im Jahre 1821 lustwandelten drei vaterländische Literaten in einer der herrlichen Umgebungen Prags. Mit beklommenem Herzen blickten sie auf die ihnen halb entfremdete Königsstadt. In freundschaftlichen Unterhaltungen wendete sich ihre Rede, wie immer, auf die Kultur der vaterländischen Sprache, auf den Zustand ihrer Literatur. Verzweifelnd sprach der Aelteste von ihnen sein Urtheil über die Unfähigkeit der Sprache zur Behandlung abstracter Gegenstände, zur Kultur der Wissenschaft aus; nur in den konkreten Kreisen des gemeinen Lebens müsste sie sich künftig hin bewegen, froh, wenn sie einen Dichter fände, der sie zum Organ gemüthlicher Ergiessungen wählte. Anderer Meinung waren die beiden Jüngeren. Der Eine hatte schon versucht sie auf mehrere Zweige der Naturwissenschaft anzuwenden, doch nur in dem beschränkten Raume der Studierstube unter noch zweifelndem Beifall seiner Freunde; der Andere fand sie geeignet sogar die höchsten Geistesoperationen mit prägnanter Kraft auszudrücken. Noch trauriger und verzweifelter aber, als die Fähigkeit der Sprache schien den Dreien die Aussicht auf die Möglichkeit einer literarischen Bewegung. Es waren wohl Schriftsteller da, aber sie waren Stimmen in der Wüste; es fehlte am Publicum. Während sie nun in dieser ängstlichen Stimmung sich ihrer Trauer hingaben, warf der Aeltere den Vorschlag hin, es möchten sich doch die Schriftsteller selbst und ihre näheren Freunde zur wechselseitigen Abnahme der herauszugebenden Schriften verbinden, um so, wenn auch im kleinsten Kreise der literarischen Bewegung einen Spielraum zu gewinnen. Dies war ein erstes zeugendes Wort künftiger Entwickelungen. Ein Jahr darauf erliess der eine jener Spaziergänger einen Aufruf zur Bildung eines Vereins zur Cultur der vaterländischen Sprache. Es fanden sich nicht eben zahlreiche Freunde, die ihre Unterschriften, obgleich zagend, nicht versagten. Die Schrift gelangte an den Chef des Landes, und wurde der Direction des vaterländischen Museums übergeben. Ein Jahr darauf kam die Sache zur Debatte. Es fanden sich Freunde aber auch mächtige Widersacher, die solch Beginnen als fremdartiges Element, als unzeitiges Hinaufbeschwören längst verstorbener Zustände betrachteten. Die Sache wurde vertagt. Allein der Same war da, er hatte seine Keimkraft bewiesen. Verwandte Keime regten sich indess. Ueber Europa ging die Sonne des Friedens auf, und wie sie in allen menschlichen Kräften ein neues Leben erweckte, so wirkte sie auch erwärmend und treibend allenthalben auf die nationalen Erscheinungsformen des Geistes. So kam denn endlich nach 10 Jahren die Zeit heran, dass jene Idee einer böhmischen Gesellschaft zur Pflege der vaterländischen Sprache unter günstigern Umständen abermals sich meldete, nun endlich zeitgemäss war und ins Leben zu treten begann, wie sie folgende kurze Geschichte der matice česká beweisen wird.[2]


  1. So nennt man in Böhmen den, mit einem durch freie Beiträge erwachsenen Kapital verbundenen Specialverein für Kultur der böhmischen Sprache und Literatur, welcher sich innerhalb der Gesellschaft des böhmischen Nationalmuseums gebildet hat.
  2. Es bedarf hier nur der Einsicht einiger öffentlich in der Zeitschrift des böhmischen Museums mitgetheilter Documente, um vollkommen ins Klare zu kommen. Wir theilen diese in treuer Uebersetzung aus dem Böhmischen mit.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/268&oldid=- (Version vom 16.11.2019)