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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

so wird sie ein wahres Prachtstück sein und das Interesse von ganz Europa erregen.

 Binnen Kurzem reist der junge Magyar Reguly von hier zu den Wogulen ab, welche er für die nächsten Verwandten seines Volkes ausgiebt. Reguly ist ein vom magyarischen Tollsinn freier, liebenswürdiger, talentvoller junger Mann, von dessen Reise sich viel für Ethnographie und höhere vergleichende Sprachenkunde erwarten lässt. Er hat bereits Lappland, Finnland, Esthland bereist und sich hier in den verschiedenen finnischen Dialekten weiter ausgebildet. Durch ihn werden wir hoffentlich erfahren, ob die von Schafarik in seinen Alterthümern aufgestellten Behauptungen, dass die im Orenburgischen lebenden Meschczeren die slawische Form für Magyaren sind, wahr ist oder nicht. Auch Sjögren gedenkt noch einmal, vielleicht im Winter, zu diesen finnischen Stämmen zu reisen, um seinen sprachvergleichenden und historischen Forschungen über den finnischen Volksstamm ein noch grösseres Material zu verschaffen.

 Uwarow reist künftigen Monat nach Warschau, dann nach Prag, Wien und Italien. Er will sich das böhmische Museum ansehen, und kümmert sich weniger um das Geschwätz der Oesterreicher, da seine durch den Tod seiner Lieblingstochter sehr angegriffene Gesundheit Zerstreuung fordert.

 Das Ostromirsche Evangelium erscheint nächstens mit Commentar von Wostokow. Es ist ein Prachtwerk, wovon bereits nahe an 80 Bogen gedruckt sind.

 Die archäographische Commission zieht auch bereits die polnische Geschichte in ihren Bereich; der grosse Codex diplomaticus von Dogiel wird umgedruckt und von ihr fortgesetzt.

 In Odessa werden nächstens bulgarische Volkslieder erscheinen; auch hat Aprilow von den dort lebenden Bulgaren bulgarische Münzen gesammelt, und die neubulgarische Grammatik von Wenelin, welche er ausgearbeitet hinterlassen, wird von dem Bulgaren herausgegeben werden.


Posen, im Juni.

 Geehrter College!

 Unlängst las ich einen Brief aus und über Posen, welcher das Berwinskische Motto trug:

 „In unserm aristokratisch-hysterisch-monarchischen St. simonisch-radical-pietistisch-patriarchalischen Posen giebt’s viele Dinge....“

 Ich übersetzte mir diese Verse, und dann lauteten sie ganz treu: wem es um einen Witz zu thun ist, findet dazu überall Stoff, auch im Posenschen. Ich möchte unsere Zustände nicht apotheosiren, ärgere mich aber über die ewige Phrasenmacherei dieser liberal sein wollenden Europalenker, welche nirgends ihre Befriedigung finden. Die Unzufriedenheit ist daher ein Privilegium der Ultramänner. Gehaben sie sich wohl damit. Ich glaube, der Verfasser des obigen Räthsels schwur noch nicht lange zur Fahne der Illegalen, — woher denn solcher Eifer gegen unsere Provinz? Es ist gewiss, dass wir Magnaten mit den Grillen des vorigen Jahrhunderts, dass wir Feudalisten, dass wir Orthodoxe und Schwärmer unter uns zählen, dass wir diesen Allen aber auch eine Reihe von Männern des Fortschritts gegenüberstellen können, und unter allen mit einander im Kampf liegenden Elementen doch die Helle das Dunkel überwiegt. Wer nicht zufrieden ist, sehe um sich, und er wird eilen, andern Sinnes zu werden. Es bleiben noch viele Wünsche unerfüllt, von denen manche zu den sogenannten „frommen“ gehören, aber viele haben ihre Erledigung gefunden, und die Gegenwart ist nicht von der Art, dass sie alle bessern Hoffnungen abschnitte.

 Wer den Eifer der Regierung, mit Rücksicht auf das Allgemeine der Parteien, ihre Rechte aufrecht zu halten, noch länger verkennen will, muss wenig nachgedacht haben über das Wesen eines Gouvernements und über die Tendenz des unsrigen. Wiederholte Verordnungen haben der polnischen Sprache das freie Feld ihrer Entwickelung geöffnet, wiewohl der Sinn der Verordnungen im Leben seinem ganzen Umfange nach noch lange nicht zur Ausführung gekommen ist. Man würde irren, wenn man glaubte, es gäbe eine polnische Gerichtssprache, oder die Rechtsangelegenheiten einer polnischen Partei würden völlig in ihrer Sprache instruirt; dem ist noch nicht so, weil es namentlich im höhern Beamtentenstande sehr wenige giebt, welche der polnischen Sprache mächtig sind, oder Lust haben, dieselbe zu erlernen. Schuld daran ist, dass von den Eingebornen der Provinz sich nur sehr Wenige den Wissenschaften gewidmet haben[1], und die Beamtenwelt hier eine gänzlich deutsche ist. Um so mehr muss das Streben der Regierung anerkannt werden, sich mit Beamten, welche mit den beiden hierorts nothwendigen Sprachen ausgerüstet sind, zu versehen, und wenn sie zu diesem Behuf bedeutende Mittel verwendet, so darf man für sie hieraus sicher keinen Vorwurf herleiten. Das Heiligste der Polen, ihre Sprache[2], wird geachtet, das hat die Regierung unzweideutig zu erkennen gegeben, und wenn etwas zu wünschen ist, so wäre es, darauf zu halten, dass das Gesetz, welches dieses Interesses halber besteht, in der Wirklichkeit zu regulairer Anwendung komme. Mit dem Gesetzgeber ist dieserhalb nicht mehr zu rechten. Es sind für Erfüllung dieses Wunsches auch schon Worte geredet worden, und der wackere Graf Raczyński, welcher sich den Fragen unserer Provinz mit seltener Energie hingiebt, ist auch in dieser Beziehung das Organ des Publikums geworden, und wir


  1. Daran ist nach öffentlichen Urkunden der bisherige Zustand des Unterrichtswesens allein Schuld. Anm. d. Red.
  2. Die Nationalität ist wohl noch heiliger, weil die Sprache nur ein Moment derselben ist. D. Red.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/252&oldid=- (Version vom 16.1.2020)