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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

dem Druck mehrerer Bände Akten in litthauisch-russischer, polnischer u. lateinischer Sprache beschäftigen; sie beziehen sich auf die Geschichte des westlichen Russlands. In diesem Augenblicke ist in Wilna auf Veranstaltung der Regierung erschienen: Собраніе древныхъ граммотъ и актовъ городовъ: Sammlung alter Schriften und Akten der Städte Wilno, Kowno, Troki, der orthodoxen Klöster und Kirchen über verschiedene Gegenstände. 2 Thle. Wilna 1842. Sie sind meistens in litthauisch-russischer Mundart geschrieben und geben merkwürdige Aufschlüsse über das lange Bestehen der russischen Sprache und Kirche im reinen Litthauen selbst unter der polnischen Herrschaft.

 Pogodin hat ein bis jetzt unbekanntes Kirchenreglement Wsewolod’s aus dem 12ten Jahrhunderte aufgefunden und lässt es sogleich drucken. Es ist sehr wichtig für die gesammte russische Rechtsgeschichte. Der hier lebende polnische Jurist Hube hat so eben seine Geschichte des russischen Strafrechtes beendigt, die besonders bei dem practischen Blicke des Herausgebers für Russland sehr förderlich sein kann. In Abschriften cursirt eine russische Rechtsgeschichte des verstorbenen Ministers Speranskij; sie war für den Thronfolger bestimmt und enthält ganz originelle Ansichten. Doch kann sie vor der Emancipation der Bauern, die wohl nicht mehr lange ausbleiben wird, nicht gedruckt werden.

 Der Moskwitjanin hat neulich eine in Russland unerhörte Erklärung von sich gegeben: „dass er sich wenig darum kümmere, wenn die Petersburger Journalisten ihn darum ausschelten, dass er seinem Publikum so wenig leichte und anmuthige Lektüre biete; es sei ihm darum zu thun, Alles das vor sein Forum zu ziehen, was den Ruhm und die Zierde Russlands in der Vergangenheit und Gegenwart ausmache, Alles Schofle und Windige zu züchtigen, auf diejenigen Punkte und Verhältnisse aufmerksam zu machen, die dem russischen Sinne bis jetzt entgingen oder nur dunkel vorschwebten, — mit einem Worte: er wolle eine ernsthaftere Richtung der russischen Journalistik im Gegensätze zu dem Petersburger windigen Wuste; gern überlasse er daher Novellen, Anekdoten, ja ganze Romane seinen Petersburger Verächtern.“ — Ohne behaupten zu wollen, dass der Moskwitjanin unendlich hoch über den Petersburger Journalen stehe, muss man doch zugeben, dass seine Richtung gediegener ist und namentlich eine gewisse Liebe zum Lande und zu Allem, was dasselbe angeht, hervorruft. Allerdings hat er weit weniger Subscribenten als die zwei gelesensten Petersburger Journale; er kümmert sich aber nicht darum. Das gelesenste der Petersburger Journale ist die Lesebibliothek, welche jetzt der Buchhändler Olchin verlegt; er zahlt Senkowski für die Redaktion allein 30,000 Rubel Ass. Das ganze Journal ist recht für die literarische Canaille geschaffen und hat darum mit seinen Witzeleien und Haschen nach Effect gegen 3000 Subscribenten, von denen jeder jährlich über 50 Rubel Ass. zahlt. Die Oteczestwennyja Zapiski, vaterländischen Memoiren unter Krajewskij, feinden den Moskwitjanin wegen seines Slawismus an, d. h. weil der Moskwitjanin hin und wieder einige trockene Notizen über die übrige slawische Literatur mittheilt. Sonst blickt die Hegel’sche Philosophie in der Oteczest. Zap. durch. Das Journal hat auch gegen 2500 Abonnenten und verfolgt natürlich eine viel bessere Richtung als die Lesebibliothek.

 Schellings Lehre fasst Wurzel in Petersburg wie in Moskau und erregt immer mehr Interesse durch die aus Berlin heimkehrenden jungen Russen; ich glaube, sie wird sich eher in dem geistig-frischen Moskau Bahn brechen, wo Schellings Name von früher her einen guten Klang hat, als in dem windbeutelsüchtigen Petersburg, wo schwerlich je eine wahre philosophische Begeisterung — und diese müsste erst vor dem allgemeinwerdenden philosophischen Studien erscheinen — aufkommen wird.

 Die Akademie der Wissenschaften hat die kleineren Schriften ihres Präsidenten Uwarow gesammelt herausgegeben unter dem Titel: „Etudes de philologie et de critique. 1843. Petersburg.“ Sie sind theils in französischer, theils in deutscher Sprache geschrieben und machen dem Scharfsinn und der hohen Bildung des Verfassers um so mehr Ehre, als er dieselben in Russland vor mehr als 20 Jahren geschrieben hat.

 Kruse’s Arbeit über die Alterthümer in Liefland hat einen halben Demidow’schen Preis von der Akademie bekommen; zugleich aber eine sehr strenge Beurtheilung und Berichtigung erhalten.

 Pogodin hat sich als Secretair der historischen Gesellschaft in Moskau mit dem Philologen Hase in Paris in Verbindung gesetzt, um mehrere ungedruckte, für die alte Geschichte Russlands wichtige Byzantiner zu veröffentlichen.

 Von Sacharows grossen Сказанія русскаго народа „Sagen des russischen Volkes“ erscheint in diesem Augenblicke der 2te Band; er enthält unter andern gegen 20 Reiseberichte von Russen, die vor Peter d. Grossen in fremde Länder gereist sind. Sie sind wegen der darin vorwaltenden Abgeschlossenheit der nationalen Gesinnung interessant.

 Von Polewoj ist eine neue Kompilation, eine Geschichte Peters d. Grossen in 4 Bändchen erschienen; nichts Neues, nichts Geniales. Speculation.

 Von Danilewskij erscheint eine Geschichte der Türkenkriege unter Alexander nach officiellen Papieren.

 Köppen hat seit Jahren an einer speciellen ethnographischen Karte Russlands gearbeitet, die natürlich bei den Mitteln, die ihm zu Gebote stehen, besseres enthält als der erste, an sich lobenswerthe Versuch von Schafarik. Wenn sie fertig werden sollte,

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/251&oldid=- (Version vom 15.1.2020)