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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Beispiels der benachbarten Germanen, sei’s weil es die Nothwendigkeit gebot, da ihr Gebiet seit den vielen Jahrhunderten, wo sie darin Ackerbau und Viehzucht trieben und sich durch ihren Handel reichlichen Wohlstand und Ueberfluss erwarben, wohl dem Gange der Natur nach an Uebervölkerung leiden musste: so wendeten sie sich nach dem fruchtbaren Westen und dem Süden, dem Eldorado aller Nationen in jener Zeit. Seit dieser Zeit nun wurden die Slawen den Griechen sowohl als den Germanen, welche damals schon kräftige Fortschritte zur Vereinigung ihrer Kräfte machten, bekannter, allein die reinen Quellen über sie fliessen immer noch sehr spärlich, da man sie für allerhand alte Völker, wie Skythen, Sarmaten, Geten, oder für Awaren und Hunnen nahm; und später, als unter die Germanen wieder der Geist der Eroberung und Vernichtung fuhr und sie unter dem Deckmantel der religiösen Bekehrung die Unterjochung und Entnationalisirung der Slawen an der Elbe und im ganzen Westen begannen, wurde zwar Manches über die Slawen geschrieben, aber diese meist einzelnen, abgerissenen Berichte sind in der Regel so voll Unwahrheiten, absichtlicher Entstellung, Hass, Verläumdung, Verachtung, Beschimpfungen, dass man sie nur mit der grössten Vorsicht gebrauchen darf. Auch waren die slawischen Einzügler in jener Zeit in so viele von einander ganz getrennte Völkeräste und Zweige zersplittert, dass man ihre verschiedenen Namen aus jener Zeit kaum je zu unterscheiden im Stande sein dürfte. Doch blieben die Hauptnamen dieser Periode Winden, Slawen, „Anten“; nur letzterer verliert sich allmählich aus der Geschichte. Erst als sie in grossen Massen zusammen traten, anfangs unter Samo, dann unter Swatopluk in Mähren und Rurik in Russland, wurden sie ein welthistorisches Volk, und von diesem Augenblicke an finden sie auch in der Geschichte eine entsprechende Vertretung. — Wahrscheinlich schon zu Ende des IV. und im Verlauf des V. Jahrhunderts mochte es geschehen sein, dass die Slawen im Süden bis an den Pontus vordrangen, wo wir sie später finden. So wurde der Tod des Königs der Anten, Boże, bereits im J. 384 von den Hunnen auf das strengste gerächt. Das Odergebiet stand den Slawen bereits im IV. Jahrhunderte offen und im V. mochten sie ihre Vorposten wohl schon bis zur Sale, der untern Elbe und der westlichen Ostseeküste vorgeschoben haben; im letzten Viertel des V. Jahrh. bevölkerten sie auch Mähren und Böhmen. Diese Besitzergreifungen mochten wenigstens zum Theil mit gewaffneter Hand erfolgt sein. Auch nach Mösien und Pannonien mochten sie bereits im V. Jahrh. ihre Einwanderungen angefangen haben; und die sieben slawischen Gemeinden in Mösien sind wenigstens seit der ersten Hälfte des VI. Jahrhunderts dagewesen. Im VIII. Jahrh. hatten sie sich in Thessalien, Hellas und dem Peloponnesos bereits dermaassen ausgebreitet, dass griechische Schriftsteller klagend ausrufen: „Ganz Griechenland sei schon slawisch geworden!“ — Der Einzug der Donauslawen nach Kärnthen und Krain bis zur tyroler Gränze ward mit ungemeiner Schnelligkeit zwischen den Jahren 592—595 beendet. Damals mochten sie wohl auch Istrien und das Furlanengebiet besetzen. In der ersten Hälfte des VII. Jahrhunderts nahmen die Bielochrowaten und Bieloserben, von jenseits der Karpathen kommend, Pannonien, Dalmatien und das übrige Illyricum ein. Hier breiteten sie sich bald zu kräftigen Staaten aus; selbst Karl d. Gr. liess sie von ihren eigenen Fürsten verwalten. Um diese Zeit fing man auch an, slawische Ackersleute als freiwillige Colonisten nach Deutschland zu übersiedeln; selbst nach Brittanien und Batavien kamen sie um diese Zeit. — Während dess bleibt aber das Geschick der im slawischen Stammlande Zurückgebliebenen immer noch in dunkle Nacht gehüllt. Sie mochten wohl ihr friedliches, ungestörtes Ackerbauleben fortführen, da sie von den wüthenden Zügen der Awaren und ihrer uralischen Nachfolger, welche mit so bestialischer Wuth die süd- und westslawischen Völker knechteten, nur in ihren äussersten Gränzen berührt wurden. — Der Name Anten kommt nur von 550—770 vor, scheint bei den Deutschen besonders gebräuchlich gewesen zu sein, aber nur von einem Theile der östlichen Slawen, der vom Dnjester und dem Maiotis weiter nach Norden sass. Der einheimische Name Slawen kommt in den Quellen in den verschiedensten Gestalten vor; die reinste, ursprüngliche ist

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/25&oldid=- (Version vom 15.9.2022)