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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

seinen Schwanengesang bezeichnet. Baratynski gehörte einst zu den besten Dichtern Russlands; sein Name wurde neben dem Puschkins genannt, ja in einzelnen Liedern übertraf er denselben sogar; aber seine Dichtung gehört der Puschkinschen, und mithin einer gewesenen, einer abgeschlossenen Periode an. Vermittelnd zwischen den beiden Perioden mitten inne steht Poleżajew, ein guter Dichter, dessen letztes Werk, „die Stunden der Genesung“, indess weniger Anklang fand, als seine früheren Gedichte. Rein lyrisch und somit dem Charakter der Zeit fremd, steht Benediktow da, ein talentvoller junger Mann, dessen Gedichte bei ihrer ersten Erscheinung 1835 viel Aufsehen erregten und im vorigen Jahre eine neue, vermehrte Auflage erlebten. Neben diesen Schriften sind wohl noch manche Gedichte erschienen, allein theils sind sie von geringem Belang und ohne Einfluss auf den Gang der Literatur, theils liegen sie in den Journalen zerstreut, welche allerdings eine bedeutende Masse von Gedichten consumiren. Im Ganzen aber bemerkt man einen gewissen Stillstand in der Poesie; der grösste Theil der besseren und der besten Talente wirft sich auf die Prosa. Die „Vaterländischen Memoiren“ meinen, die Dichter „aus der Stadt“, d. i. in Petersburg oder Moskwa seien jetzt desshalb zurückhaltender, weil sich die Einen so ziemlich ausgeschrieben, die Andern wieder erkannt haben, dass Verse jetzt gut, sehr gut sein müssten, damit sie nicht bloss gelobt, sondern auch gelesen werden. Dagegen würden die Dichter aus der Provinz von Jahr zu Jahr unermüdlicher, wenn auch das Publikum von ihrem begeisterten und feurigen Eifer, Schreib-Papier zu verwüsten, nichts erführe, sondern nur die Redacteure, welche ihre Zuschriften zu lesen oft bemüssigt seien.“

 Die Dichtung in Prosa ist und bleibt das Hauptelement der russischen Literatur. Es waren Zeiten in Russland, wo es grössere Dichter als Prosaisten gab, wo man bessere und mehr Gedichte als Romane und Erzählungen schrieb; allein die Zeit ist vorbei, die Gegenwart will auch durch die Form zeigen, dass sie sich ausschliesslich auf das Reale geworfen hat.

 Unter den Romanen ragt neben den „Todten Seelen“ Zagoskin’s „Kuzma Petrowicz Miroschew“ hervor. Wie alle grösseren Schriften Zagoskin’s zeichnet sich auch dieser Roman einerseits „durch ächt russische Biederkeit und Leutseligkeit, durch Vortrefflichkeit der von ihm geschaffenen Charaktere, durch treue Anhänglichkeit an das russische Alterthum und feurige Begeisterung für dasselbe, durch heitere, aber glanzvolle Schilderungen und entzückende Situationen, vor allem aber durch einen glatten, fliessenden Styl aus“, während anderseits Armuth der Gedanken und Wiederholung des schon hundertmal Besprochenen seine hervorstechendsten Mängel sind. — Ueber den Roman „Alf und Aldona“ von Kukolnik haben wir bereits berichtet. Von demselben Verfasser ist aber noch ein zweiter Roman erschienen: „Дурочка Лиуза Närrin Luise“, der in der Lesebibliothek abgedruckt ist. Zu den andern Mängeln der Darstellung Kukolniks ist hier noch eine widerliche Sentimentalität gekommen, welche, verbunden mit der langweiligen Erzählungsweise des Verfassers, den gesunden Theil des Lesepublikums von demselben förmlich gewaltsam abstösst. Neben diesen erschienen noch eine Reihe andere Romane, die aber in keinerlei Hinsicht eine grössere Beachtung verdienen. — Fruchtbarer war das Jahr 1842 an Erzählungen und Novellen. Von Gogol erschien im Moskwitjanin eine Erzählung: „Rom“, die, obgleich noch unbeendigt, alle Vorzüge der Weise dieses Schriftstellers ahnen lässt. Vom Grafen Sollohub, dem Verfasser der „Apothekerin“, vielleicht der besten russischen Erzählung der Neuzeit, erhielten wir eine Erzählung: „der Bär“, welche sich durch zarte ästhetische Reinheit und Vollkommenheit, so wie durch den nationalen Geist, der sie beseelt, besonders auszeichnet. Der grösste Vorzug der Schreibeweise des Grafen ist die poetische Wahrheit; seine Charaktere, scharf ausgeprägt und bestimmt, handeln wie die Menschen vor unsern Augen;

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/240&oldid=- (Version vom 4.1.2020)