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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

hätten dem wüthenden Andrange der habgierigen und eroberungsüchtigen Nachbarn nimmermehr so lange widerstehen können. Wenn der Verf. nur auswärtige Zeugen kennt, welche über das elbeslawische Alterthum berichten, so ist es nicht die Schuld der slawischen Geschichte, dass er dabei die nichtgeschriebenen Denkmäler des Westslawenthums zwischen der Ostsee und dem Erz- und Riesengebirge gänzlich übersah; sie scheinen uns ein integrirender Theil der Quellen für die Geschichte jenes Landes.

 9. Geschichte der polnischen Republik bis zum XV. Jahrhundert. Von Andr. Moraczewski. Posen 1843, Kamienski. VI, 266 S.

 Der Verfasser ist einer von den fünf Männern, welche in Posen öffentliche Vorlesungen über wissenschaftliche Gegenstände halten, und darum ist es uns desto interessanter zu erfahren, von welchen Prinzipien der Verf. geleitet wird. In dieser Hinsicht scheint uns seine Vorrede manchen Fingerzeig zu geben; zuvörderst meint der Verf., es sei nicht nothwendig, die historischen Quellen so auszubeuten, dass man sie überall nenne, wo man ihre Worte oder wenigstens ihre Gedanken unmittelbar anführe. Der Historiker vom Fache kenne die Quellen; für den Geschichtsfreund seien sie an sich gleichgültig; in der Geschichte sei überhaupt daran am meisten gelegen, dass man zu der Wahrhaftigkeit des Verfassers Vertrauen habe. Die Schriftsteller, welche über einen historischen Gegenstand geschrieben, sei er nicht gesonnen zu widerlegen, wenn sie geirrt hätten; denn er streite ungern mit Lebenden, warum solle er die Todten aufrütteln. Die Kritik hält er zwar für eine für den Historiker sehr wichtige, aber für eine reine Privatsache, welche man nicht vor dem Publikum ausschreien müsse; es reiche hin, wenn man die Früchte derselben nach ihrer völligen Reife herbeibringe. Kromer und Naruszewicz hat der Verf. absichtlich ausser Acht gelassen; denn jeder Schriftsteller, der kein Quellenwerk geschrieben, müsse einen zu Irrthum verleiten. Die Geschichte der Vergangenheit hat der Verf. als eine Sache für sich betrachtet, nicht auf die Gegenwart und ihre Verhältnisse bezogen; das ist mit andern Worten: er hat nach deutscher und nicht nach französischer Weise geschrieben. Uebrigens stelle er nicht ein vollendetes Gemälde der Vergangenheit mit einem freien und kühnen Pinsel und in schönen Farben vor die wissenschaftliche Welt, sondern ein blasses, ein dunkles Bild, wie die alten Jahrhunderte selber; nicht ein Gemälde, sondern eine Mosaik aus kleinen, längst schon zugehauenen Steinchen zusammengestellt; ein Bild endlich, auf welchem an gar vielen Stellen schon gar nichts mehr zu sehen ist. Er wolle lieber der stumpfen Auffassung, des ungelenken Slyles, als eines Missverständnisses oder des Mangels an Glaubwürdigkeit beschuldigt werden. Dies die hervorstechendsten Ansichten des Verf. Sein Buch ist demnach mehr ein Lehrbuch, für den Unterricht bestimmt, beinahe, wie es scheint, ein Ergebniss der historischen Vorträge, welche der Verf. gehalten. Die Kenntniss des slawischen Allerthums geht ihm nicht ab, und wenn auch Manches seit den Untersuchungen Schafariks sich anders gestaltet hat, als der Verf. glaubt, so ist er doch in vielen Punkten mit demselben bekannt und einverstanden. Die Auffassung des polnischen Alterthums ist im Ganzen genommen wohlgelungen, die Ideen überall deutlich dargestellt und überhaupt der Abfassung eine Form gegeben, an welcher man wenig auszusetzen hat. Die Benutzung der Quellen ist allerdings ziemlich eigenthümlich und wenn der Verf. die alten Sagen so darstellt, wie sie in den ersten Denkmälern Polens sich erhalten haben, so müssen wir fast glauben, dass er dieselben für wahr hält, so ungern wir dies thun. Das ganze Werk wird gewiss die verdiente Anerkennung finden, und bei dem erweiterten Leserkreise, für den es bestimmt ist, Liebe zu den alten Schicksalen der Nation und Anhänglichkeit an die Volksthümlichkeit zu erwecken im Stande sein. Die Gegenwart ist durch vielfache Interessen so zerrissen, und die Verhältnisse Polens machen es höchst wünschenswerth, dass der Pole sein Vaterland

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/229&oldid=- (Version vom 21.12.2019)