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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 8. Wendische Geschichten von L. Giesebrecht. IIIr Band. 398 Seiten.

 Schon im zweiten Hefte der Jahrbücher V, 3. S. 132 sprachen wir über dieses in seiner Art vortreffliche Buch. Der vorliegende 3te Band bespricht nun die Ereignisse im Wendenlande zur Zeit König Konrads des Hohenstaufen, den Kreuzzug der Deutschen gegen die heidnischen Elbeslawen, S. 1—56; dann die Anstrengungen der Wenden gegen den Sachsenherzog Heinrich und ihre seeräuberischen Züge gegen Dänemark, S. 57—106; dann das Bündniss dieses Herzogs mit dem Dänenkönige Waldemar, S. 107—156. Hierauf schildert der Verf. den Zustand der nördlichen Slawenküsten, seit Waldemar sich dieselben unterworfen hatte, S. 157—206, und beschliesst die Reihe der Begebenheiten mit dem Tode Waldemars und Heinrichs des Löwen. — Der Verfasser beendet sein Buch mit einem Abschnitte, den er „die wendischen Geschichten“ überschrieben hat. Derselbe sollte freilich eigentlich als Vorrede des ganzen Werkes, oder wenigstens als Einleitung gedient haben; denn er enthält die Uebersicht aller derer Quellen, welche für die Geschichte der Elbeslawen uns hinterblieben sind, und bespricht dieselben zugleich mit einer historisch-kritischen Schärfe, wie wir sie nur von dem gelehrten Verfasser erwarten konnten. Die Betrachtung der Quellen ist nach ihrer Zeitfolge selbst geordnet, und dadurch einerseits der Gegenstand, den die einzelnen Schriften enthalten, zerrissen, anderseits aber doch wieder in die Geschichte des Elbeslawenthums selbst, wie sie sich in den vorhandenen Denkmälern aus dem Alterthum ausspricht, eine Ordnung gebracht, aus welcher man ersieht, wie sich die historische Kenntniss des Wendenlandes allmählig herausgebildet, und wie es bei der blossen Erforschung dieser Quellen nicht anders sein konnte, als dass der Verf. eine, wie wir sie schon bei dem Berichte über die beiden ersten Bände nannten, äussere Geschichte der Wenden schrieb. Um eine innere Geschichte dieses Volkes zu schreiben, hätte der Verf. allerdings eine vollständige und allseitige Kenntniss des slawischen Alterthums haben müssen; denn bei dem Mangel aller wirklich einheimischen Quellen und Nachrichten können wir die inneren Zustände der slawischen Elbevölker nur aus dem Vergleiche mit den übrigen Slawen kennen lernen, oder um genauer zu sagen, errathen. Wenn der Verf. behauptet: „Die Wenden haben es zu keinerlei geschichtlicher Ueberlieferung gebracht, nicht einmal zu historischen Gedichten“; so scheint uns das eine doch allzu kühne Behauptung; denn wir wissen ja doch sicherlich nicht, ob die alten Elbeslawen historische Gedichte gehabt haben; ja wir müssen sogar nach allen den Nachrichten, welche sich über die Lebensweise dieser Völker, besonders aber über ihre Art Krieg zu führen, erhalten haben, sowie nach der übergrossen Gesangeslust, welche jedem slawischen Stamme angeboren ist, es für höchst wahrscheinlich annehmen, dass auch die Elbeslawen ihre Nationalsänger gehabt haben, welche den regellosen Haufen durch die Aufzählung und den Ruhm der Thaten ihrer Vorfahren zur Entschlossenheit und zum Kampfe auf Leben und Tod begeisterten. Ebenso wenig sicher dünkt uns die kurz darauf folgende Behauptung (S. 278): „Ein gemischtes Geschlecht, schwankend in ihrem Glauben, Recht und Sitte nicht selten in schneidendem Widerspruch, waren die Wenden bereits eine zerfallene Nation, da sie mit den Franken in Berührung kamen. So konnte aus ihrer Mitte manches Tüchtige hervorgehen, was Einzelnen, was Familien, was Genossenschaften ausführbar ist, nichts, was nationale Einheit voraussetzt. Vermochten aber die Wenden selbst nicht eine Geschichte der Wenden in irgend welcher Form zu verwirklichen, so vermag es gerade darum der spätere Forscher eben so wenig; er muss sich an wendischen Geschichten genügen lassen.“ Die Slawen, wie sie aus der Urheimath an den Karpathen nach der Oder, Elbe und Saale einwanderten, waren freilich nicht geordnete Heerhaufen, noch hatten sie eine geregelte Staatsverfassung; dennoch kann der Historiker unmöglich beweisen, dass sie schon eine zerfallene Nation waren. Wären sie dieses gewesen, sie

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/228&oldid=- (Version vom 20.12.2019)