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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

eine entgegengesetzte Richtung, und die grossrussische Sprache ist von der russinischen (klein- und weissrussischen) so weit verschieden, dass ein Gross- und Kleinrusse sich gegenseitig kaum verstehen können.

 Aus der Richtung, welche Grossrussland in Entwickelung des Despotismus im Gegensatze der liberalen Institutionen Süd- und Westrusslands, welche erst nach der Theilung Polens mit Gewalt unterdrückt werden mussten, dann aus der Richtung der Sprache, welche zwei entgegengesetzte Tendenzen angenommen hat, ergibt es sich, dass diese zwei Stämme nie bestimmt werden können, einen einzigen Staat zu bilden. Dem Verfasser selbst ist solches nicht unbekannt, und er führt im vorliegenden Werke an: „Wenn nun in dem von uns so eben umgränzten Gebiete beinahe die gesammte Bevölkerung das Polnische als seine Muttersprache spricht (die einzelnen Städte in den westlichen Gegenden ausgenommen), so ist dieselbe doch auch noch ausserhalb dieser Gränzen verbreitet und zwar nicht bloss über ganz Lithauen, Weiss- und Kleinrussland, sondern auch selbst weit in die russischen Westprovinzen, in den Gouvernements Wilno, Grodno, Bialystok, Minsk, Wolynien, Podolien, Kiew, Mohilew und Witebsk; an den Gränzen der Gouvernements von Pskow, Smolensk, ja an dem Dnjepr bis in das Gouvernement von Cherson hin, so wie im Süden über das ganze jetzige Königreich Gallizien. In allen diesen Gegenden ist nicht nur der sämmtliche Adel und der grösste Theil der Städtebewohner von polnischer Abkunft und spricht das Polnische als seine Muttersprache, sondern dieselbe hat sich auch in unzähligen Colonien, welche in den früheren Zeiten aus Grosspolen hier angesiedelt wurden, in ihrer ganzen Reinheit erhalten, so dass man mit vollem Rechte behaupten kann, in dem ganzen Gebiete, das einst zu der Republik Polen gehörte, sei die polnische Sprache bis auf diesen Augenblick noch die herrschende in den höheren Classen. Und wie könnte es wohl anders sein? Der Adel in diesem weiten Reiche war gränzenlos stolz auf seine maasslosen Vorrechte, und während er unter sich keinen Unterschied kannte und sich nie anders als: „Herr Bruder“ anredete, verachtete er jeden andern als weit unter ihm stehend, besonders den russischen, den er nicht nur durch politische Stellung, sondern auch durch Bildung und weltlichen Glanz weit hinter sich liess; wie mochte er also seine Nationalität aufgeben, um ein Knecht des Caren zu werden? Ein Pole war er gewesen, ein Pole blieb er auch in den Tagen der Trübsal noch. — Aber dieser Stolz war auch auf den polnischen Bauer übergegangen, und wohin er als Soldat oder als Colonist unter ein fremdes Volk (seien es Russinen oder Lithauer oder Deutsche) kam, da stand er über der Bevölkerung des Landes und das Gesetz sicherte ihm allerlei Vorzüge vor jenem. So blieb auch er Pole und anstatt sich unter dem Volke zu verlieren, erzog er vielmehr durch Familien- und Unterthansbande neue Glieder für seine Nationalität.“ (S. 33.) „Die freiheitsdurstigen Söhne der Steppe aber kannten das Unheil, das ihnen von dem Carenthum drohte, und hätte die wahnsinnige Politik Polens, der oligarchische Aristokratismus Hand in Hand mit dem fanatischen Jesuitismus sie nicht mit den Füssen getreten, niemals hätten die Kosaken sich freiwillig an die Moskowiter angeschlossen, denen sie bis auf diese Stunde noch alles Böse auf den Hals wünschen und zuschreiben, so dass „Moskal“ in ganz Südrussland noch jetzt eines der grössten Schimpfwörter ist. Anderseits hat aber auch Polen, das jetzt sein „weit umhergestreutes Gebein“ zu sammeln anfängt, nachdem es dasselbe durch die Nichtswürdigkeit seiner Führer verloren, die Wichtigkeit der Kosaken anerkannt und bereits begonnen, den alten Sinn für die „Rzecz pospolita“ (Republik) den vernichteten Geist der Freiheit unter ihnen wieder wach zu rufen. Eine Reihe von Schriften sind in der Neuzeit erschienen, in welchen nicht nur die allen Verhältnisse und Bündnisse der „Krone“ gegen die Kosaken mit den glänzendsten Farben ausstaffirt werden, sondern auch jede noch erhaltene Erinnerung an die ehemalige Grösse, den Glanz und die Macht der Schlachticen in der Ukraine aufgefrischt und Polen überall als das Mutterland (matka Polska) der Ukraine, Podoliens und Wolyniens, an welches jedes Aufblühen und Glück dieser Länder

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/206&oldid=- (Version vom 28.11.2019)