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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

unmittelbar zum Zwecke führende Gegenstände zu besprechen, und beschäftiget sich mit anderen slawischen Stämmen nur in so weit, als es in seinen nächsten Zweck der Unabhängigkeit Polens einschlägt. — Die anderen der österreichischen und türkischen Regierung untergeordneten Stämme fingen erst seit unlanger Zeit an, ihre Nationalität, welche beinahe von Deutschen, Magyaren und Türken verschlungen wäre, herauszugraben, und obgleich sie verhältnissmässig (besonders die Czechen) sehr viel leisten, so können sie doch für ein allgemeines Organ nicht angesehen werden. Die Slawen sind in mehr als 10 Nationen untergetheilt, es werden so viele Dialekte gesprochen und in eben so vielen wird geschrieben; da aber die meisten Dialekte unter der österreichischen Regierung sich befinden, wo die deutsche Sprache die herrschende ist, so musste auch die deutsche Sprache als für die Mehrheit verständlich, und Deutschland als der Ort, wo man sich frei aussprechen darf, gewählt werden.

 Aus allem, was da geschrieben wird, ist zu ersehen, dass man die Slawen, obgleich für einen uralten Stamm, jedoch in der Harmonie der europäischen Völker noch als jung ansieht, da alle Schritte, mit denen sie sich den Platz in der Völkerpolitik zu erwerben trachten, sehr wankelmüthig erscheinen.

 So stellt sich auch das vorliegende Werk vor. Der Verfasser scheint, wie schon der Titel selbst anzeigt, und wie er es auch in der Vorrede ausdrücklich ausgesprochen, den Zweck gehabt zu haben, die Verhältnisse verschiedener Slawenstämme zu einander, wie auch zu Deutschland in Gegenwart und Zukunft aufzuklären; hieraus konnte man hoffen, dass er einem jeden slawischen Stamme seinen eigenthümlichen Standpunkt anweiset, nach welchem er streben und seine weiteren Verhältnisse einrichten sollte; aber hiervon ist keine Rede. — Berührend jeden einzelnen Stamm, sieht er in ihm volle jugendliche Kraft, voll der schönsten Hoffnungen, und am Ende lässt er ihn in seinem alten Gleise fortleben, und es ist das Höchste, wenn er seinen Wunsch äussert, dass die österreichische, preussische oder russische Regierung seine Nationalität schonen möchte, — ja zuletzt macht er einen Aufruf an Oesterreich, es möge die unter seinem Scepter lebenden Slawenstämme in seinen Schutz nehmen und ihnen eine verständige Freiheit, ihre Nationalität zu entwickeln, angedeihen lassen.

 Dieser Schluss bringt den Leser in Erstaunen. Was konnte denn der Verfasser mit Oesterreich gemein haben? weiss er denn nicht, dass Oesterreich als Staat nur in so lange bestehet, als es von seiner uralten passiven Politik nicht auf ein Haar breit abweichet; ja wir glauben, dass die Slawen nicht zufrieden sein werden, wenn man sie mit den lieben Wienern auf einer Weide ruhig schlummern lässt.

 Es ist wirklich schwer zu begreifen, was für eine Idee sich der Verfasser von den Slawen gebildet habe; wohl mochte er den besten Wunsch für sie gehabt haben, und von demselben gespornt, sammelte er eine Menge Materialien, aus welchem er sein Werk zusammenklebte, aber diese Materialien konnte er nicht kritisch beurtheilen, trachtete nicht zu erörtern, wer, was und in welchem Zwecke er geschrieben, und desswegen ist es leicht, in diesem Werke wiedersprechende Ansichten über einen und denselben Gegenstand zu finden, je nachdem er ein Material bei der Hand gehabt hat.

 So z. E. von den Böhmen sprechend meint der Verfasser: „Der Böhme ist wohl geneigt, sich von einer grossartigen Idee einzunehmen, zu begeistern, ja bis zum Fanatismus sich hinreissen zu lassen, das beweisen die Hussitenkriege und so manches andere politische Ergebniss“; weiter unten aber sagt er: „der Czeche wird sie (die österreichische Regierung) mit seiner eigenen Brust beschützen und den letzten Blutstropfen für sie vergiessen, denn er liebt das Haus Oesterreich.“ Man wäre wohl geneigt, an dieser Liebe der Czechen für Oesterreich zu zweifeln, denn der Verfasser hält sich fern, solche zu beweisen; ja viel mehr, man könnte das Gegentheil schliessen, da er früher gesagt: „Die Schlacht am weissen Berge, herbeigeführt durch die niedrigen Machinationen der Gesellschaft Jesu, welche kein Mittel zu schlecht hielt, die Protestanten aus Böhmen zu vertreiben,

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/201&oldid=- (Version vom 22.11.2019)