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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Buches, dass die lausitzer Slawen nicht daran denken, freiwillig ihr altes Volksthum und ihre Sprache aufzugeben. Vor drei Jahrhunderten prophezeihte bereits ein alter serbischer Priester: in funfzig Jahren werde die serbische Sprache verstummt sein! Und doch lebt sie noch jetzt im Munde von 200,000 Serben, trotz des unerhörten Feudaldruckes und oft wiederholter feindseliger Anordnungen von Oben bis in die Gegenwart herab.

 Auch die hierauf folgende Besprechung des Czechenthums dünkt uns nicht die glücklichste Partie des Buches zu sein, soweit dieselbe sich auf die hier zusammengestellten Czechen und Mährer bezieht. Der Verfasser ist, aus vielen Merkmalen darf man den Schluss ziehen, jedenfalls selbst ein Czeche, deshalb mögen ihn Rücksichten zu der vorsichtigeren Darstellung manchen Gegenstandes vermocht haben. Es ist hier alles so skizzenhaft und so notizenförmig, dass, wer nicht früher schon den Faden besitzt, aus dieser Darstellung nicht wohl einen richtigen Einblick in das Czechenthum gewinnen wird. Nach kurzer Skizze der Schicksale, welche bisher das czechische und mährische Geistesleben betroffen haben, sowie der Angabe der numerischen Anzahl des czechisch-mährischen Stammes und der Bestimmung ihres Gebiets geht der Verfasser auf die Schilderung der czechischen Gegenwart über. Er zeigt, wie das seit 1620 fast zertrümmerte Czechenthum gerade zu der Zeit, wo Joseph II. durch seine den Eindrang des Deutschthums in Böhmen fördernden Anordnungen „die Macht der Hussiten“ gebrochen glaubte, wieder erwacht sei, neuerdings frische Wurzeln geschlagen habe, und wenn auch nur allmählig, so doch desto nachhaltiger erstarkt sei. Eine wie uns dünkt passendere, in die andere Abtheilung gehörige Vertheidigung des Czechenthums, führt namentlich den sehr richtigen Gedanken durch, das nationelle Streben der Czechen sei, weil öffentlich, nicht zu fürchten.

 Der erbärmliche Zustand des böhmischen Schulwesens und der Aufschwung der neuböhmischen Nationalmusik sind nur ungenügend besprochen. Auch des nationellen Theaterwesens wird gedacht. Seit dem Ende des vorigen Jahres ist hierin ein sehr erfreulicher Fortschritt durch die Eröffnung eines wahren Nationaltheaters geschehen, welche zugleich das Aufblühen einer dramatischen Literatur zur Folge haben wird.

 Ein kurzes, geschichtliches und geographisches Aperçu leitet den Abschnitt über die Slowaken in Ungarn ein, welcher ohne Zweifel zu den besten des ganzen Buches gehört. Der Zustand des Ackerbaus, der Gewerbe und Industrie, die Sprachenverwirrung in den ungarischen Schulen, die rege Theilnahme der Slowaken am czechischen Geistesleben schon seit Jahrhunderten, die gegenwärtigen Literaturbestrebungen, namentlich mit Rücksicht auf den wegen äusserer Bedrückung schwer darniederliegenden Journalismus, der Widerstand gegen das Eindringen des magyarischen Finnenthums werden ganz vortrefflich geschildert. Die Wahrheit der betreffenden Angaben stellt sich aus den neuesten Nachrichten aus Ungarn heraus. Ungarn ist in der Gegenwart unzweifelhaft das interessanteste Land des östlichen Europa. Hier finden wir den hartnäckigsten Conservatismus im Kampfe mit den gräulichsten Radicalismus; Protestantismus, Katholicismus und sogar Graecismus fanatisch einander gegenübertretend; Nationalität gegen Nationalität Kampf auf Leben und Tod beginnend; denn an dem Kampfe der Slawen gegen die Magyaren fangen nach und nach sogar die in Ungarn wenigstens über alle Maassen saumseligen Deutschen Antheil zu nehmen an, ja sogar die Walachen rütteln an ihren Ketten und gedenken ihrer römischen Abkunft und des grossen Decebalus, ihres mächtigen Königs! Nirgends weist die Geschichte ein zweites Land nach, in welchem zu gleicher Zeit so wichtige und so hartnäckige Kämpfe, wo es Sieg oder Vernichtung gilt, ausgefochten wurden. Man darf es den Magyaren Dank wissen, dass sie gleich den Slawen, den geistigen Kampf vor dem neutralen Deutschland auszufechten beschlossen haben, wie die eben bei Wigand in Leipzig erscheinende Vierteljahrsschrift aus und für Ungarn bezeuget. Man wird ihnen hier mit gleichen Waffen entgegentreten können, wie dies bis jetzt in

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/192&oldid=- (Version vom 8.11.2018)