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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Gesellschaft, und dadurch, dass es diese in Abhängigkeit von sich erhält, macht es sie auch der neuen Civilisation für die Zukunft, wie wir hoffen, dem unser ganzes Geschlecht umfassenden und durchdringenden Einflusse zugänglich; und anderer Seits tritt es auf mit einer drohenden Uebermacht gegen die alten asiatischen Völkerschaften, die von einer falschen Weltansicht geleitet nicht nur auf dem niedrigeren Entwicklungspunkt der Civilisation stehen geblieben, sondern auch ganz entartet und nur zu fürchterlichen Ausgangspunkten der Unterdrückung, Verderbniss und Zerstörung verwandelt sind; und diess gerade in den Ländern, welche sich des Segens der Entwicklung und Blüthe der alten Kultur erfreuten. — In Rücksicht auf Europa und seine Civilisation hält man gewöhnlich Russland für eine Macht von einer zweideutigen Bedeutung. Man betrachtet sie, wenn nicht immer mit feindlichen, doch oft mit misstrauischen Augen. Nach ihrer Idee und ihrer Bestimmung kämpft sie jedoch gegen die wilde Kraft der Masse und nicht für dieselbe. Sie kann also nicht gegen die Civilisation auftreten und Eroberungen auf ihrem Gebiete machen, ohne Inconsequenz gegen sich selbst, und ohne dadurch zu erkennen zu geben, dass sie aufgehört habe, ihrer Idee getreu und ihrer Bestimmung gewachsen und vor der Kraft und dem Willen der Masse zurückgewichen, und also ihr Werkzeug, anstatt ihr Herr, geworden zu sein. Dieser Bewegungskraft, welche in späteren Zeiten das europäische gesellschaftliche Gebäude erschüttert hat, und deren Aeusserungen wir mit einem gemeinschaftlichen Namen „die Revolution“ bezeichnen, ist die russische Macht offen mit Wort und That als Feind entgegen getreten. Allein dadurch ist sie weder gegen ihre Bestimmung inconsequent, noch, wie die Männer und Verfechter der Revolution so unaufhörlich vorgeben, gegen die europäische Civilisation selbst feindlich gewesen. Denn wenn ihre Bestimmung ist, die wilde Kraft der Masse zu bekämpfen, so kann es hinsichtlich dieser ihrer Pflicht gleichgültig sein, ob die zerstörende Kraft in der ursprünglichen Wildheit oder Verwilderung ihre Entstehung habe. Da nun die Revolution nicht nach der Ansicht der Liberalisten als ein unmittelbarer Ausdruck der inneren Kraft der europäischen Civilisation anerkannt, sondern im Gegentheil wie ein derselben mit Untergang drohender Zerstörungsact betrachtet wird, so kann die Reaction der russischen Macht dagegen nicht Vernichtung der Civilisation, sondern im Gegentheil ihre Aufrechterhaltung und Stütze zur Absicht gehabt haben. Ungeachtet wir also behaupten, dass die russische Macht zu Folge ihrer Bestimmung eine Reactionskraft gegen die Revolution, wie auch, dass diese ein wirklicher Zerstörungsact sei, so können wir doch nicht umhin zu läugnen, dass die russische oder eine jede andere beliebige äussere Macht, auch wenn es ihr gelänge, sich im vollen Maasse geltend zu machen, die Revolution wirklich hemmen und ihren Grund aufheben können sollte. Sie würde im Gegentheil, wenn sie in einer solchen Absicht in das Gebiet der europäischen Civilisation eindränge, nur das Böse, das sie durch dieselbe bekämpfen wollte, sich ärger und fester einnisteln lassen. Es ist nämlich nicht das Aeussere in der Revolution, so scheusslich und widrig es auch in vieler Hinsicht war und ist, was das eigentliche Fürchterliche in ihr ausmacht. Dieses Fürchterliche besteht in der inneren geistigen Wurzel der Revolution, der Weltansicht nämlich, welche in späterer Zeit, wiewohl nicht immer mit entschleiertem Antlitz, sondern oft mehr oder weniger verkappt, in gerader Feindseligkeit gegen das innerste heilige Lebensprincip der neueren Civilisation aufgetreten ist. Diese Weltansicht ist der bloss unterdrückenden Macht unzugänglich und lässt sich nur von dem Entwicklungsact des jetzt gehemmten heiligen Inneren besiegen, welchem wiederum von dem unberufenen Eingriff der Macht entgegengewirkt, anstatt geholfen werden würde. — Indessen die russische Macht hat auch ein inniges Verhältniss zu der europäischen Civilisation. Diese ist nämlich an einem einzelnen Punkte in das Gebiet jener getreten und ein Gegenstand ihrer Pflege geworden. Dieser Punkt ist nun, wie bekannt, Finnland. Hier übt der gewaltige Herrscher über Russland und Nordasien den Pflegerberuf eines europäischen Fürsten aus, verwaltet das theure Geschäft

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/172&oldid=- (Version vom 15.11.2019)