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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

endlich dahin gebracht, dass in den Städten, besonders in den grösseren, fast allgemein deutsch gesprochen wird. „Auf dem platten Lande, in dem polnischen Theile Oberschlesiens, ein ähnliches Resultat zu erzielen, sagt der Verf., ist bei den vielen Hindernissen vor der Hand unmöglich; indessen muss man, wenn man sonst nicht ungerecht sein will, eingestehen, dass auch hier geschieht, was man nur verlangen und wünschen kann. Ein Haupthinderniss ist und bleibt die Sprache, das sobald nicht weggeräumt werden kann. (Warum nicht? — Mit einem Schlage! Man lasse nur den unglückseligen Gedanken fahren, das Landvolk germanisiren zu wollen, und richte die Schulen rein polnisch ein. Dann wird aller Zwiespalt zwischen dem Volke und den Schulbehörden auf einmal gehoben.) Sämmtliche Kinder sind polnisch, und wenn nun auch der Unterricht deutsch, wenigstens grösstentheils, ertheilt wird, so kann in den wenigen Schulstunden doch nicht genug geleistet werden.“ Natürlich! denn die Schüler müssen erst deutsch verstehen lernen, und das nimmt selbst bei slawischen Kindern (obgleich der Slawe jede fremde Sprache leichter erlernt, als sobald ein Anderer) wenigstens zwei Jahre Zeit hinweg. Aller andere Unterricht während dieser Zeit ist verloren, und selbst dieser kann nur langsam vorwärts gehen, weil der Geist des Kindes übermässig angestrengt wird, indem dasselbe nicht nur auf den Gegenstand, sondern vielmehr noch auf die Sprache Acht geben muss, in welcher er ihm vorgetragen wird. Der Verf. schliesst mit den Worten: „Nach der Ansicht vieler achtbarer Männer wäre es daher zweckmässiger, wenn auf dem Lande der Unterricht polnisch ertheilt würde, jedoch mit aller möglichen Berücksichtigung des Deutschen. (Allerdings, auch wir halten diess für nothwendig; vielleicht etwa so, dass das Deutsche in den letzten beiden Jahren als Unterrichtsgegenstand behandelt werde.) So lange die Kinder bloss in der Schule deutsch hören, und ausser der Schule durchaus keine Gelegenheit haben, sich weiter zu üben, kann bei dem besten Willen, und dem angestrengtesten Eifer, kein grosser Gewinn für Verbreitung der deutschen Sprache erzielt werden.“

3. Kritiken.

 Wendische Geschichten aus den Jahren 780 bis 1182. Von Ludw. Giesebrecht. I. u. II. Bd. Berlin 1843, Amelang. 8. XVI, 309 u. X, 368 S. Das vorliegende Buch ist eines der inhaltreichsten und werthvollsten Werke, welche in neuerer Zeit über slawische Geschichte von deutschen Gelehrten geschrieben wurden. Einzelne Bruchstücke desselben waren bereits im 6. und 7. Jahrgange der Baltischen Studien mitgetheilt, und fanden schon als solche ein fast allseitiges Lob wegen der glücklichen Benutzung der vorhandenen Quellen und des weiten Umfanges der in ihnen deponirten Forschungen. Gegenwärtig nun hat der Verf. das Ganze zusammengestellt und in drei ziemlich gleiche Bände eingetheilt, von denen der dritte im Februar d. J. erscheinen soll. Nach den eigenen Worten des Verf. umfasst das Buch „die Anfänge der Landesgeschichten von Holstein, Lauenburg, Ratzeburg, Meklenburg, Rügen, Pommern, der Mark Brandenburg und der Lausitzen zusammen, und greift nicht selten auch nach Polen, Böhmen, Sachsen, Dänemark, Norwegen, bis nach Island hinüber.“ Auf diese Weise behandelt der Verf. nicht nur die Geschichte aller der verschiedenen slawischen Volksstämme, welche Schafarik mit dem Namen Elbeslawen bezeichnet, sondern berührt auch die Verhältnisse der sie rings umgebenden Völkerschaften slawischen und germanischen Stammes; besonders die letzteren nicht selten mit bevorzugter Weitläufigkeit. Dadurch hat sich in sein Werk eine eigenthümliche Auffassungsweise eingeschlichen, oder vielmehr umgekehrt ist seine Auffassungsweise Grund seiner eigenthümlichen Darstellung. Prof. Giesebrecht schreibt nämlich nicht eine Geschichte der von ihm sogenannten „wendischen“ Nation; weit entfernt davon trägt er nur vor, was die westlichen und nördlichen Germanen (und im Vorübergehen ein und das andere Mal die Polen und die Czechen) mit den Elbeslawen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/143&oldid=- (Version vom 13.10.2019)