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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Magyaren anzusehen; im Gegentheile habe der slowakische Adel seit jeher gleiche Rechte mit dem magyarischen gehabt und Niemand sei bevorzugt gewesen vor dem Andern, als etwa die königlich privilegirten Städte.

 Die Zerwürfnisse und Wirren bestehen nun I. in der Kirche und den kirchlichen Angelegenheiten. Die gemischten Ehen haben die Katholiken und Protestanten gegen einander aufgebracht; die Lutheraner und die Reformirten (diese meist Magyaren, jene grossentheils slawisch) verachten einander aus Nationalhass, und weil der Graf Zay eine Union vorschlug, wird sie eben desshalb nicht zu Stande kommen, da sie auf jeden Fall als Mittel zur Magyarisirung verwendet würde. Die katholische wie die lutherische Kirche ist in sich selbst zerfallen und uneins; in jener herrscht die Hierarchie und der Ultramontanismus; in dieser der rüdeste Aristokratismus. Die Zerwürfnisse zeigen sich auch II. in Schule und Wissenschaft. Alle Unordnungen und Misshelligkeiten rühren hier vom Einführen des Magyarischen und von seinem Herrschensollen her; die magyarische Jugend erlaubt sich unerhörte Frechheiten gegen ihre slawischen Lehrer. Die Wissenschaften liegen darnieder, und wenn die Magyaren in der letzten Zeit hierin etwas geleistet, so ist diess eine Folge der ungeheueren Geldopfer, welche theils das Land hergeben muss, theils einzelne Reiche freiwillig beisteuerten. Der Kampf ist auch III. im politischen Leben, d. i. zwischen dem Staat und der Kirche erwacht. Das päbstliche Breve über die gemischten Ehen hat das Placetum regium erhalten, ist aber gegen die Ansicht der Stände; der nächste Landtag wird hier entscheidend sein. Die meisten Zerwürfnisse äussern sich indess IV. unter den verschiedenen Nationen Ungarns. Von den unterdrückten Nationen sind die Slawen selbst Schuld an ihrer jetzigen Lage; denn früher haben sie ganz geschwiegen und selbst in der Neuzeit bis auf ein Paar „bittere Broschüren“ keinen Widerstand gegen das Aufdringen des Magyarenthums geleistet. Von ihren Coryphäen stelle sich der einzige Csaplowicz „unmaskirt“ zur Vertheidigung hin. Ja unter den Magyaren selbst herrscht sogar die grösste Verwirrung; sie sehen endlich ein, dass durch die Heftigkeit einzelner Journalisten die Sache des Magyarenthums erst recht verdorben ist. Ohne die Verfolgungen wären die Slowaken ruhige und fleissige Einwohner geblieben, welche einer allmähligen Magyarisirung doch hätten näher gebracht werden können.. Nun aber ist Alles vorbei. (Vergl. unter Kritiken: „Nitra Almanach.“). Die Zwietracht herrscht nun auch V. im Familienleben, der Gatte verachtet den Gatten, das Kind erhebt sich wider die Eltern, der Bruder flucht dem Bruder um des Glaubens, um der Nationalität willen. Und wie schauderhaft sieht es VI. nun noch im wechselseitigen Verkehr, im bürgerlichen Leben aus! Niemand kann es sich denken, der es nicht mit angesehen hat. — Und so ist denn die jetzige Lage Ungarns eine in der That höchst traurige, und keine rettende Aussicht, die ihm Hülfe brächte. Wie wahr heisst es daher in dem Briefe des edlen Grafen Aurel Dessewffy, dem letzten, den er vor seinem Tode an seine arme Mutter schrieb: „Man muss täglich die Pulsschläge des Volkes belauschen, um genau zu erkennen alle die niedrigen Leidenschaften, den Hass gegen den Besitz, die Ordnung, die Obrigkeit und die Gesetze; um zu kennen den gänzlichen Mangel an Religion, Grundsätzen und Sittlichkeit, und all’ die beklagenswerthen Elemente, die in unserem Vaterlande gähren und sich mit schreckenerregender Schnelligkeit verbreiten. Man muss sie hören, diese in wissenschaftliche Systeme gebrachten Revolutionstheorien, man muss beiwohnen den von solchen Elementen geleiteten Comitatsverhandlungen, um vorherzusehen die Zukunft, der wir zueilen!“ Und der Verfasser schliesst sein Buch mit den Worten: „Wie die Sachen jetzt stehen, sind die Anmassungen zu frech, anderseits die Aufregung der Gemüther durch Hass, Furcht und Kummer zu gross, das religiöse Gefühl, der Patriotismus, der Nationalismus zu sehr gespannt, als dass sich ein ruhiges Ende hoffen liesse, wenn nicht eine höhere, göttliche oder menschliche, Hand eingreift, die im Stande wäre, diese Misstöne in Harmonie aufzulösen. — Gebe Gott das letztere, und erleuchte die Köpfe und

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/140&oldid=- (Version vom 9.10.2019)