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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

werden. Zur Ersparniss sollen auch einige ungarische Regimenter aufgelöst und dafür eine Nationalgarde errichtet werden. — Die Haupthindernisse des geringen Aufblühens der Industrie sind: 1) der mangelhafte Creditzustand, 2) die Abneigung aller Volksklassen gegen grössere commercielle Unternehmungen, 3) der Mangel an Absatzwegen. Der Grund des Mangels an Credit für den ungarischen Adel liegt in der Unveränderlichkeit des Grundbesitzes (Aviticität), nach welchen der Adelige nie sein Besitzthum verlieren, sondern nur als Pfand dem Creditor überantworten kann. Der Verf. sucht die schlimmen Folgen dieses Rechts so viel als möglich zu verdecken, weil er aus andern Gründen für die Beibehaltung desselben ist. Denn: „Wer würde sich (heisst es S. 44.), so weit nach den jetzt vorliegenden Prämissen zu urtheilen erlaubt ist, possessioniren? Wer anders, als der Fremde (Deutsche? Slawe?), der Jude, der Wucherer und der wohlhabende Bürger (die bekanntlich fast durchweg deutsch!)? Höchstens würden noch einige schuldenfreie Glieder der hohen Aristokratie und der wohlhabende Clerus auf Erweiterung ihres Besitzstandes spekuliren. Mit einem Worte, wir möchten in nicht langer Frist eine gänzliche Umkehr unserer socialen Verhältnisse erleben. Der unnationale Geist käme in den Besitz der Macht...“ Man sieht, der Verfasser weiss es recht wohl, aber will es sich nicht eingestehen oder wenigstens nicht öffentlich zugestehen, seine eigene Nation, die magyarische, sei zu träg und indifferent, um im Falle der Möglichkeit eines Ankaufes von Grundbesitz den emsigen und betriebsamen Deutschen und Slawen, so wie den Juden die Wage zu halten. Denn der ächte Magyare liebt es, in seine Bunda (weiter Schafpelz) sich zu hüllen und sich ruhig neben seiner Herde Ochsen oder Schweine niederzulegen. Das Bebauen des Feldes und die Gewerbe überlässt er den Slawen und den Deutschen. Um Industrie und Handel im Lande zu heben, hat man vorgeschlagen, den Mittelstand zu heben. Allein hier tritt, wie überall, die Nationalität als hindernd entgegen. Ausdrücklich heisst es S. 54: „Aber die Bewohnerschaft der königlichen Freistädte mit ihrer corporativen Verfassung bietet uns durchaus keine hinreichende Garantie für die ungefährdete Entwickelung unserer Nationalität, wenn wir derselben erweiterte Rechte einräumen sollten.“ Also weil sie nicht Magyaren sind, so müssen ihre Interessen, die doch zugleich die Interessen des Landes bleiben, unterdrückt werden. Selbst das Wohl des Landes wird so der Nationalität zum Opfer gebracht. „Die Bewohner der freien Städte (heisst es dann weiter) stammen von Deutschen, reden, denken, fühlen deutsch, und sind durch dieses natürliche Band ungleich inniger an Oestreich als an die Nation geknüpft.“ Da nun aber die Nothwendigkeit des Handels allzuleicht in die Augen springt, so räth der Verfasser an, der magyarische (nicht ungarische) Adel solle sich auf dieses Feld werfen, und wie er jetzt nur Getraide und Schafwolle verkauft, auch anfangen mit Grütze, Graupen, Leder und Tüchern zu handeln. Der träge, stolze, durch und durch aristokratische Edelmann!? — Der Verfasser nennt das nur einen „frommen Wunsch“ von seiner Seite, und dabei wird es wohl auch bleiben. — Die genannten drei Hindernisse liegen in der ungarischen Nation selbst, sie kann sie beseitigen; nicht so die folgenden. Zu diesen gehört erstlich schon die „verhängnissvolle geographische Lage“ — von allen Seiten ist das Land mit Zolllinien umschlossen. — Dadurch ist es gehindert, seine Producte auszuführen; so dass es mehr consumirt als ausgibt. Ein solcher Zustand muss allmählig zum völligen Ruin des Ganzen führen, wenn nicht schleunig geholfen wird. „Mit bebender Lippe“ und zitternd spricht der Verfasser das einzige Mittel aus, das hier retten könnte: „Verbinden wir Pesth und Fiume durch eine Eisenbahn!“ S. 75. Die Summen zu dieser ungeheuren Anlage herbeizuschaffen, macht der Verf. folgenden Vorschlag (S. 92): „der Adel möge die sich ergebenden ausserordentlichen Ausgaben (auch zu Strassen, Canälen und dergl.), insofern sie nicht das Verhältniss seiner Vermögensgrösse und numerischen Menge überschreiten, in Zukunft übernehmen. (Ein für alle Mal?) Nach Verlauf einiger Dezennien wird es möglich sein, ein vollständiges Budget zu entwerfen, worauf eine gleichförmige Repartition zwischen sämmtlichen Ständen des Königreichs

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/137&oldid=- (Version vom 4.10.2019)