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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

die alle Fugen des Geistes neu erfrischte; allein desto mehr Aufforderung für sie, alle ihre Kräfte aufzubieten, dem Nachbar nachzueilen; und den einen grossen Vortheil haben sie voraus: die Errungenschaft der vorangehenden Jahrhunderte kommt ihnen zu Gute, dass sie augenblicklich in ihr eigen Fleisch und Bein sie verwandeln können. Es ist ja dies der einzige Ausweg, welcher den Freund der Menschheit hoffen lässt, es werden sich auf diese Weise noch einstens die Völker zu einem mehr oder weniger gleichem Grade der Entwickelung empor schwingen.

 Freilich ist es ein altes Recht in Deutschland, über Alles bald mit Spott, bald mit Verachtung abzusprechen, was Slawisch heisst. Man begnügt sich nicht damit, an den Erinnerungen alter Zeiten sich zu weiden, die Orte, die Tage sich in’s Gedächtniss zu rufen, wo slawische Völkerschaften besiegt, „ihre Reihen decimirt“, ihre Gaue verwüstet worden, mit einer seligen, behaglichen Selbstgenügsamkeit die Länder aufzuzählen, die man ihnen entrissen, die Völkerschaften, die man dem Slawenthum treulos gemacht hat. Wir wollen diese Handlungsweise mit keinem Namen bezeichnen, wünschen müssen wir aber zur Ehre der deutschen Wissenschaft und des deutschen Gemüthes, die wir so hoch an der deutschen Nation zu schätzen wissen, dass ein solches Wohlgefühl sich auch in ihren einzelnen Gliedern nicht kund gebe, da es dem Charakter derselben ganz entgegengesetzt ist. – Aber es gibt Menschen, die noch viel weiter gehen; den Charakter des Slawen zu entstellen, auf jede mögliche Weise ihn zu verdächtigen; ja der Nation jede geistige Befähigung überhaupt abzusprechen, – das ist das ausgesprochene und nicht ausgesprochene Bestreben gar mancher Männer, die damit ein besonderes Verdienst um die deutsche Nationalität sich zu erwerben vermeinen. Wir sind überzeugt, nicht Böswilligkeit, nicht Hass ist es, was sie dazu bewegt; sondern lediglich der Mangel an Kenntniss unserer Zustände, das Missverstehen dessen, was wir wollen, wornach wir streben, das Verkennen der beiderseitigen Verhältnisse der zwei Nationen in der Gegenwart und der nächsten Zukunft. Und das stellt in uns den unerschütterlichen Glauben fest, dass wir eine nützliche, eine verdienstliche Arbeit unternehmen, wenn wir die Missverständnisse zu beheben suchen, welche seit uralten Zeiten zwischen denselben obgewaltet haben; wenn wir uns bemühen, auch von unserem Gesichtspunkte aus die Verhältnisse der Vergangenheit, wie besonders der Gegenwart in ein helleres, wahreres Licht zu erheben.

 Auf welche Weise wir dabei verfahren wollen, darüber haben wir uns bereits in unserem Prospecte ausgesprochen. Was irgend die slawischen Völkerschaften im Einzelnen oder im Ganzen angeht, sei es nun in der Vergangenheit oder der Gegenwart oder auch der nächsten Zukunft, wollen wir allmählig in den Kreis unserer Besprechung ziehen, wir wollen uns bemühen, nach und nach über Alles zu berichten, was auf den Charakter der Slawen, ihren eigenthümlichen Entwickelungsgang, ihre gegenwärtigen Zustände und ihre nächsten Hoffnungen irgend wie ein Licht werfen kann. Wir werden also Berichte geben über den gegenwärtigen Zustand und über die Fortschritte bei den Slawen in allen Zweigen der Wissenschaften, der Künste, der Industrie und Oekonomie; eine besondere Aufmerksamkeit werden wir dabei auf die Geschichte und ihre Hülfswissenschaften, die Geographie und Ethnographie verwenden; denn gerade das ist eine Seite des Slawenthums, für welche sich Deutschland ehemals mehr interessirte, die es aber seit einigen Decennien gänzlich vernachlässigt. Unser Hauptaugenmerk jedoch wird auf die Literatur der Slawen gerichtet sein; sie ist es, in welcher der Geist des ganzen Volkes widerscheint. Wir werden sie ihrer Umfänglichkeit und Wichtigkeit wegen in zwei Rubriken behandeln; unter dem Abschnitt: Literatur und Kritik, werden wir nicht nur wichtige Werke in slawischer oder in einer andern Sprache über slawische Gegenstände weitläufig besprechen und kritisch analysiren, sondern auch literaturhistorische Skizzen, selbst kleine Proben aus Romanen, Gedichten, Volksliedern, Sagen und dergleichen mittheilen, so wie endlich auch den Charakter einzelner periodischer Blätter genauer darstellen und ihre Leistungen näher bezeichnen. Aus den wichtigern slawischen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/13&oldid=- (Version vom 7.1.2019)