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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Jahrbücher
für
slawische
Literatur, Kunst und Wissenschaft.
„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung!“

I. Jahrg.  1843.  1. Heft.


Programm.




 Wenn zwei grosse Völkerschaften neben einander zu wohnen kommen, so bilden sich, sie mögen in geistiger und materieller Entwickelung weit vorgeschritten sein oder auch auf der niedrigsten Stufe der Kultur stehen, dennoch alsbald die mannichfaltigsten Wechselbeziehungen zwischen beiden aus, und hemmend oder befördernd wirken sie auf einander ein, je nachdem ihr Nationalcharakter, ihre Grösse und Stärke, ihre geistige Kraft zu dem einen oder dem andern sie befähigen. Dasselbe fand auch zwischen den Slawen und den Deutschen statt. Seit vorhistorischen Zeiten ist der slawische Stamm der Nachbar des deutschen; Jahrtausende führten sie blutige Kriege gegen einander und von der Weichsel bis zum herzynischen Walde, längs den Küsten der Ostsee und in den weiten Gefilden der Donau hin ist keine Fläche, kein Gebiet, das nicht mit deutschem und slawischem Blute getüncht wäre. Es war ein Kampf auf Leben und Tod, und tausendjähriger Hass, ungemessene Erbitterung war der Preis der beiderseitigen Siege. Wer es verschuldet, ist dem Tode anheimgefallen, und die Geschichte hat seinen Namen in ihre Blätter verzeichnet. Die Zeit, die Allversöhnende, hat die ergrimmten Wogen des Völkermeeres in Mitteleuropa beschwichtigt, das Schwerdt ist in der Scheide, die rohen Waffen ruhen; der Geist ist es, der den Fehdehandschuh aufgehoben um die Kräfte der Partheien zu messen; aber in einem Kampfe, der nicht verwüstet, sondern aufbaut; der nicht mordet, sondern belebt; der nicht fluchet, sondern segnet; der nicht schmäht, sondern Achtung gebiert, der nicht hasset, sondern Liebe weckt. Es nahet die Zeit, wo die beiden Nationen einander endlich verstehen lernen, wo sie einsehen werden, was jede zu fordern berechtigt, was jede an der andern zu achten, zu ehren, zu schätzen verpflichtet ist; dann wird stillschweigend der Waffenstillstand geschlossen, wie er zwischen Nationen nothwendig und vernünftig ist, und wie wir ihn zwischen anderen Völkern bestehen sehen, und der einzige Kampf, der uns dann verbleibt, ist der Wettkampf, wer es dem andern zuvorthue in materieller und geistiger Entwickelung.

 Zwar sind die Slawen in diesem Kampfe die schwächeren, weil von ihren Nachbarn seit der Mongolenzeit überflügelt und nicht durch eine Reformation gekräftigt,

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/12&oldid=- (Version vom 7.1.2019)