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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

nur ein Volk bildeten, und ihr wäret dann frei und bliebet am Leben und unversehrt; die geraubten Güter gäben wir euch dann wieder, und im Besitze des Reichthums würdet ihr so die Edlen sein.“ Aber das heilige, treue Volk Gottes, das schon so oft um seines Glaubens willen hingeopfert wurde, verachtete das Leben dieser Welt, und gemeinschaftlich ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters erhoben sie, anstatt einer Antwort, ihre Stimme in einem inbrünstigen Gebete zu dem höchsten in den Himmelshöhen thronenden Gott, und sprachen: „O du Jehova, unser Gott, du einig-einziger, dir werden wir immerdar geopfert, lass uns, Gott Israels, im Glauben bleiben. Nicht wollen wir in Gemeinschaft mit der Rotte der Lüge wohnen und nicht wollen wir eingehen ein Bündniss mit den Tückischen.“ Hierauf beteten sie das grosse Beichtgebet, welches da beginnt: „Wir haben es in Wahrheit verschuldet“, erkannten das schwere Gericht Gottes an und sprachen das grosse Leichengebet, das da beginnt: „Fels und Hort, gerecht ist dein Strafgericht“; dann sangen sie Todtenlieder und ihr Schluchzen stieg bis zu den Himmel. Als die Kosaken eingesehen, dass die Juden ihrem Glauben treu ergeben blieben, da veränderten sie ihre milde Sprache und redeten sie mit finstern und harten Worten an: „Wie lange wollt ihr hartnäckig und trotzig bleiben und Selbstmörder sein? Ihr vergiesset selbst euer Blut, indem ihr dadurch, dass ihr unseren heiligen Glauben verschmähet, euere Niedermetzelung und Hinmordung veranlasst.“ Da sprachen die Juden: „Verzögert nicht euer Vorhaben, und was ihr später zu thun gedenkt, das thut jetzt. Nimmer werden wir eurer Verlockung folgen und eurem christlichen Heidenthume unsere Herzen öffnen; unser Gott ist ein einig-einziger, der in den Himmeln wie auf der Erde thronet, und dieser Golt wird uns gnädig sein. Ihr seid nur die geschickten Sendlinge Gottes, um uns hier zu vernichten; denn nur durch todeswerthe Rotten, wie ihr seid, lässt Gott Strafgerichte üben, durch Fromme werden keine fluchreichen Thaten vollbracht. Ihr seid unsere Erzfeinde und unsere Hasser, also würdige Vollstrecker eines finstern Geschickes; wenn ihr es nicht thut, so wird Gott noch andere Sendlinge finden, und wenn es die wilden Bären der Wälder sein müssen.“ Nach diesen Reden begann die Niedermetzelung, weder Aller noch Geschlecht wurde verschont; ungeheuere Reichthümer wurden erbeutet, dass das Silber fast auf den Strassen lag. Denn die reichsten Juden der Ukraine haben sich gerade hierher geflüchtet, und so sind die ursprünglichen Einwohner, wie die neuen Ankömmlinge umgekommen. Von hier aus theilten sich die Kosaken in viele Pulks und verbreiteten sich über unser ganzes Land, zerstörten unsere Plätze und rissen allenthalben unsere Synagogen nieder. In Czernigow büssten zweitausend Juden mit ihrem Leben; in Chatardow (?) zwölfhundert; ausser den vielen Juden, die zu Hunderten auf den Landstrassen umgebracht wurden, oder die vor Hunger und Durst gestorben oder von den Feinden in den Flüssen ertränkt wurden; ausser den Jungfrauen und Weibern, die sie zu Tausenden in ihr Land gefangen fortgeschleppt. Auch die in der Ukraine einheimischen Kosaken verbreiteten sich über das ganze Land, richteten in der Ukraine, in Podolien und Wolynien grosse Verwüstungen an und wir wissen nicht mehr, wohin wir flüchten sollen. Auch die Gränzen Lithauens haben sie überschritten und mit ihnen der Schrecken und der Mord; auf den Bergen liegen unsere Brüder erschlagen, denn schneller als die Adler des Himmels sind unsere Verfolger. Die Stadt Pawolocz haben sie fast ganz geschleift und unser Herz wurde darob verzagt; die Stadt Parabisch wurde so ausgeplündert, dass in der Umgegend nicht einmal Nahrungsmittel blieben; in Weiss-Feld (Bieło pole) wurden wir in Trauer gehüllt; in Bar wurden dreitausend Juden hingemordet, unsere Synagogen zerstört und unsere Gesetzrollen zerrissen und entweihet. In Konstantinow verloren fünfzehnhundert Juden ihr Leben; in Polonne, einer sehr festen Stadt, wohin sich auch sehr viele Juden, namentlich vornehme und reiche, geflüchtet, wurden zehntausend Juden umgebracht; in Ostrog wurden alle vorgefundenen Juden umgebracht, die Stadt selbst verwüstet und die Judengemeinden des ganzen Kreises, mehr als dreihundert an der Zahl, wurden vernichtet. Ein trauriges Geschick hatten die Judengemeinden in Nehul

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/119&oldid=- (Version vom 28.9.2019)