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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

heutigen Russland durch die häufigen Besuche der Normannen. Die alten skandinavischen Sagen sind für diese Verhältnisse sehr wichtig; allein alles Resultat, das man aus diesen Dichtungen für die slawische Geschichte ziehen kann, beschränkt sich darauf, dass die Skandinavier schon vor Rurik im VI. bis VIII. Jahrhunderte häufig mit den Slawen zusammen stiessen, dass sie ihren Weg nach Byzanz meist durch Russland nahmen und da die Handelsstädte sich unterwerfen wollten, was ihnen jedoch misslang, so dass sie bereits im Anfange des IX. Jahrhundertes mit Gewalt aus dem Lande verwiesen wurden. Um 862 endlich wählten die russischen Slawen in Gemeinschaft mit den benachbarten Finnen freiwillig drei Warjäger-Häuptlinge von „russischem Stamme“, kriegerische Skandinavier, zu ihren Fürsten, deren einer, Rurik, in Kurzem Alleinherrscher wurde. Um dieselbe Zeit befreiten Askold und Dir, ebenfalls Skandinavier, aber aus einem andern Geschlechte, Kijew von dem Tribute, den es an die Kosaren zahlte, und gründeten den südrussischen Staat, in welchem noch dasselbe Jahrhundert die ersten Keime des Christenthums Wurzel schlugen. Rurik’s Nachfolger, Oleg, nahm ihnen diese Herrschaft durch List ab und gründete so das Grossfürstenthum Kijew, nachdem er sich fast alle slawischen Völkerschaften in Südrussland unterworfen. Unter kräftigen Herrschern wuchs dasselbe an innerer Festigkeit und äusserer Macht; das Christenthum verbreitete sich seit der Grossfürstin Olga immer mehr, bis sich Wladimir selbst taufen liess, und verwischte die letzten Spuren der verschiedenen Abstammung zwischen den Warjägischen Fürsten und ihren slawischen Unterthanen. Mit der Religion kam auch die slawisch-bolgarische Schrift in das Land; zugleich aber schwächte die nach normannischer Sitte eingeführte Theilung des Reiches unter mehrere Söhne schon seit Swjatoslaw die Herrschaft, und führte so die endlosen Bürgerkriege herbei, welche Russland vorbereiteten, eine leichte Beute der Mongolen zu werden. Der §. 28 beschreibt die einzelnen Völkerschaften, welche im Umfange des heutigen Russland wohnten, und ihre Sitze. Vor der Ankunft der Warjäger hiess das Land bei den Schriftstellern bald Sarmatien, Skythien, Weneden-, Winden-Land, Ostragardhr, Austrvegr und ähnlich, auch Griechenland und sogar Germanien. Der ächte Name: Serben oder Slawen, fand immer nur selten Anwendung; doch ist der älteste ächte Name bei den Germanen Wendland und Wenaland; eben so der „Anten“ im Anfange der historischen Zeit sehr häufig. Seit der Ankunft der Warjäger aber verbreitete sich der Name Russe, Rus’ mit solcher Schnelligkeit, dass er bereits im X. Jahrhundert allgemein war. Die so grundlose Form Rossianin, Rossia kam erst im XVI. Jahrh. durch die griechischen Geistlichen auf. – Unter den Provinzialnamen ist der der Slowjenen (Slawen) am wichtigsten. Diese setzt Nestor an den Ilmensee, und Schafarik nimmt sie für den Ueberrest des slawischen Hauptvolksstammes, der hier seinen Ursitz gehabt habe. Eben so wichtig ist der der Serben, deren alte Heimath von der Weichsel östlich bis nach Polen und Südrussland hinein sich erstreckte. Die Kriwiczen behält Schafarik nach unumstösslichen Gründen für Slawen (gegen Schlötzer und Strahl). Die Uliczen sind weder Suliczen noch Luticzen, sondern eine eigene Völkerschaft, die auch Ugliczi hiess. Die Stelle in dem Münchner Geographen fol. 148. b. (Phesnuzi habent civitates LXX.) erhält eine detaillirte Untersuchung; eben so die bei Constantin Porphyr. über die Wasserfälle des Dnjepr. (Adm. imp. c. 9.)

 3. Abschnitt. Die bulgarischen Slawen. Unstreitig ist die erste Bevölkerung in dem ehemaligen Dacien, d. i. der jetzigen Moldau, Wallachei, Siebenbürgen und dem südwestlichen Ungarn, seit dem V. Jahrh. rein und ächt slawisch, die als freies Volk häufige Einfälle in das griechische Kaiserthum machte, und von welcher erst im VII. Jahrh. die westlichen Stämme den Awaren unterthan wurden. Die slawische Bevölkerung Mösiens, die erst im Anfange des VII. Jahrh. in der Geschichte auftritt, scheint bereits gegen Ende des V. Jahrh. mit Erlaubniss der griechischen Regierung aus freiwilligen Einwanderern und angesiedelten Kriegsgefangenen sich allmählig im Verlaufe des ganzen VI. Jahrh. gebildet zu haben. Allein dort wie hier wurde die fremde Macht durch das Eindringen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/107&oldid=- (Version vom 3.11.2018)