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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Jahrbücher
für
slawische
Literatur, Kunst und Wissenschaft.
„Verständigung! Versöhnung! Vereinigung!“

I. Jahrg. 1843. 2. Heft.


1.
Der Panslawismus.

 Schon im hohen Alterthume finden wir die „ächt slawische Gewohnheit“, wie sie Schafarik nennt, bei den Völkern dieses Stammes, sich in kleine Theile mit eigener Verfassung und separaten Zwecken zu zersplittern, die von einander unabhängig nie zu einer imposanten Macht sich zu erheben im Stande waren und nicht selten durch blinde Verfolgung ihrer Particularinteressen einander gegenseitig aufrieben. Und darin liegt einer der Hauptgründe, warum die Slawen in Folge der Zeit in eine politisch so untergeordnete Stellung herabgedrückt wurden. Erst in der Neuzeit haben sich unter den Slawen selbst Gegner jener Zersplitterungssucht erhoben. Man hatte eingesehen, in welchem engen Zusammenhange die slawischen Sprachdialekte mit einander standen, und wie ohne die Kenntniss der übrigen auch eine reine und durchdringende Auffassung des einen nicht möglich sei; man fing an zu ahnen, welche endlose Reihe von wohlthätigen Folgen ein näheres Anschliessen der einzelnen slawischen Völkerschaften an einander für diese selbst haben müsste, und wie sie erst dadurch in den Stand gesetzt werden könnten, den übrigen europäischen Nationen in Kunst und Wissenschaft nachzukommen. Dass eine so grossartige Idee immer weiter um sich griff, ist bei dem allerwachten Leben der Slawen in der Gegenwart wohl sehr natürlich. Böhmen ist es besonders, wo dieselbe ihre edelsten Priester und gewandtesten Apostel fand, wo sie immer reiner und klarer herausgebildet wurde, so dass sie nun, von ihren Schlacken gereinigt, frei und ohne Scheu vor die Welt hintreten und gerechte Würdigung und Anerkennung fodern darf. Alle slawischen Völkerschaften bilden zusammen eine Nation, die slawische, die, obgleich unter verschiedene Staaten vertheilt, dennoch von der Elbe bis hinter die Wolga, vom adriatischen und schwarzen Meere bis zur Ostsee und nach Archangelsk hin ein grosses Ganze ausmacht; alle Slawen haben eine einzige gemeinsame Sprache, die in mehrere, zu Schriftsprachen erhobene Dialekte zerfällt, aus deren Gesammtheit aber allein der Grundcharakter der slawischen Haupt- und Ursprache erkannt werden kann. Die ächt und rein slawischen Wörter und Formen, welche in diesen Dialekten zerstreut sind,

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/102&oldid=- (Version vom 29.12.2019)