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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Aristokratie Einhalt zu thun. Uns Slowaken dünkt das unbegreiflich, wie man so leichten Herzens seiner Nation und den süssen Lauten seiner Muttersprache entsagen und eine finnische Individualität und die monotonen Laute einer uralischen Zunge annehmen kann. Uns ist das unmöglich und macht den Deutschen anderseits wenig Ehre. — — Die Magyaren werfen uns vor, wir arbeiteten den Russen in die Hände, und die panslawistischen Bestrebungen würden von Petersburg aus geleitet. Wir wissen hievon nichts; aus Freundschaft aber und damit sie sich an uns rächen mögen, rathen wir den Magyaren an, sie möchten eine ähnliche Vereinigung ihrer Volksstämme zu Stande zu bringen suchen, einen Panfinnismus; das müsste eine weit ausgedehnte und grossartige Nationalvereinigung geben, wenn sie ihre ganze Sippe unter Eine Haube brächten. Die Sirjanen (Zyrjanen) in Nordrussland, die Ostjaken, Wogulen, die Finnen und die ganze Freundschaft könnte da ihre Deputirten in unser freilich eigentlich slawisches Pesth senden, um da von ihren europäisch sein wollenden Stammesbrüdern magyarische Cultur: d. i. Slawen- und Germanen-Hass und Finnomanie zu lernen. Dabei hätte man noch überdiess den wichtigen und welterschütternden, den Erdkreis civilisirenden Vortheil zu hoffen, dass diese kleinen Vorposten magyarisch-finnischer Nationalentwickelung, die über den ganzen Osten und Norden Russlands zerstreut sind, zugleich als Spione dienen könnten, jede Bewegung, die in Russland und unter den Kirgisen und Tataren sich zeigt, augenblicklich an ihre Brüder und Häuptlinge an der Donau zu berichten, die nun einmal vom Schicksal bestimmt sind (wenigstens nach den Worten des weltberühmten Historikers und magyarischen Philosophen Horvath), in den nächsten Decennien die Zügel Europas in die Hand zu nehmen und allen Völkerschaften der Erde, den romanischen, germanischen und slawischen, in rothen Czischmen voranzuschreiten in jeglicher Weisheit und Wissenschaft.

A Dieu.
Ein Slawe.


Breslau, den 19. Octbr. 1842.
 In unserem Schlesien geht es dem Slawenthum immer noch sehr hart; unsere Gutsbesitzer und die höheren Stände in den Städten sind fast völlig germanisirt; das Deutsche herrscht in den Kanzelleien und im öffentlichen Leben; in Schule und Kirche wird dem Slawenthum Schritt für Schritt mehr Terrain abgenommen; mit einem Worte, wir sind in demselben Zustande, oder eigentlich noch in einem schlimmeren, als Böhmen zur Zeit, wo Dobrowsky sein „Lehrgebäude“ schrieb. Denn uns steht eine kräftige germanische Parthei gegenüber, welche die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen sucht und Schlesien für ein rein deutsches Land erklärt; ja in ihren Bestrebungen sogar so weit geht, das Polnische in unserer Provinz für ein ausgeartetes Sprachidiom auszuschreien, welches von den Polen selbst gehasst werde, so dass die polnische Nationalität in Schlesien als untergegangen zu betrachten sei. Wir können hierauf nichts erwidern, als was der Tygodnik literacki bereits vor längerer Zeit aussprach: die Polen in Schlesien könnten nur dann aufhören sich für Slawen zu halten, wenn sie ihre Geschichte vergessen; die Fürsten sind ihren Ahnen, den Piasten, treulos geworden, das Volk aber hängt mit eiserner Treue an seinem slawischen Stamme; wir können hier nicht anders, als im Namen der Grosspolen die Oberschlesier für unsere Brüder zu erklären und jeden der Verläumdung und Lüge zu bezüchtigen, der uns einen andern Glauben zumessen will. Aber unsere Gegner wissen auch die Regierung für sich zu gewinnen, und keine der wohlthätigen Einrichtungen in Kirche und Schule, wie sie zur Erhaltung der polnischen Nationalität in Posen getroffen werden, wird auf unsere Provinz ausgedehnt, obgleich wir in dieser Hinsicht mit dem Grossherzogthume ganz gleiche Bedürfnisse und (nach den Gesetzen der Humanität und Civilisation) gleiche Ansprüche auf dieselben haben. Aber gerade dieses weiss man vor den Augen der Regierung geschickt zu verbergen, und unsere Wünsche, wenn wir sie offenbaren, so zu verdrehen und zu entstellen, dass sie das Gepräge entweder der Albernheit oder der Unverschämtheit erhalten. Und so wird es denn unsere Pflicht, selbst, in eigener Person vor die Regierung zu treten und mit dem vollen Vertrauen, das wir zu ihren humanen und jeder Nation unseres Staates wohlwollenden Gesinnungen hegen, unsere Bitten, unsere Wünsche, unsere Erwartungen ihr vorzutragen. Deutschland wundere sich daher nicht, wenn wir mit entschiedener Kraft auftreten gegen unsere Gegner, unter denen es leider so viele gibt, in deren Adern unser eigen Blut fliesst; wenn unser Eifer nach so vielfacher Bedrängung bisweilen vielleicht etwas zu weit geht und Foderungen stellt, welche unsere Gegner für „unverschämt“ ausschreien. Unsere Sache ist gerecht; wir müssen in dem Kampfe für sie den Sieg erringen; wir Oberschlesier bleiben Polen von Herz und Sinn, von Wort und That, wenn einzelne deutsche Hitzköpfe auch noch mit grösserer Wuth auf unsere Nationalität einstürmen.
ch.




Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/101&oldid=- (Version vom 8.4.2023)